„Das ist kein Bauernaufstand“, sagt Rosa Otunbajewa

In Kirgisien kämpft eine ausgebeutete Bevölkerung gegen den korrupten Familienclan von Präsident Akajew

taz: Was bedeutet die Machtübernahme im kirgisischen Osch und Dschalalabad durch die Opposition für Kirgisien?

Rosa Otunbajewa: Das Volk hat der Regierungsmacht die Grenzen gezeigt. Die Macht in Bischkek ist innerlich verfault. Präsident Askar Akajew samt seiner Familie hat unser Land in ein Khanat verwandelt. Von der Schule über die Polizei sind alle Bereiche des Lebens von Korruption durchwuchert. All die Milliardenkredite und die wenigen Reichtümer versickerten in den Taschen des Akajew-Clans und der Kamarilla, die ihn umgibt. Das Volk hat nichts davon gesehen. Die Machtübernahme im Süden ist der Anfang vom Ende dieses Familiendiebstahls.

Also geht es nicht um gefälschte Wahlen?

Die gefälschten Wahlen haben den Menschen ein weiteres Mal den Zynismus der Macht vor Augen geführt und gezeigt, dass die Regierung das Volk belügt. Die Fälschungen haben den letzten Anstoß zum Protest gegeben.

Akajew hat ausgeschlossen, den Ausnahmezustand zu verhängen, und will die Wahlen in sechs Wahlkreisen überprüfen lassen. Wird die Opposition wieder mit ihm verhandeln?

Akajew muss zurücktreten. Mit sechs Parlamentsmandaten, die er der Opposition zuschustert, kann er den Kopf nicht aus der Schlinge ziehen. Er zeigt nur sein verlogenes Verhältnis zu Wahlen. Je nach politischer Ausgangslage bekommt die Opposition mal mehr, mal weniger Sitze.

Wer soll Akajew nachfolgen?

Nach der Verfassung wird der Premierminister die Macht zeitweilig übernehmen. Dann müssen die Parlamentswahlen annulliert werden sowie neue Präsidentschaftswahlen und – später – Parlamentswahlen ausgeschrieben werden. Bis dahin tagt das alte Parlament weiter.

Die Opposition ist zerstritten, es fehlt ein charismatischer Führer. Wie kann sie die Lage im Süden kontrollieren?

Wir arbeiten eng zusammen, kontaktieren uns täglich und sind nicht zerstritten. Dass es keinen Führer gibt, ist auch ein Vorteil, da eine vielschichtige Opposition auch schwerer zu zerschlagen ist. Und wir haben es geschafft, sehr schnell Ruhe und Ordnung im Süden des Landes wiederherzustellen. Natürlich kam es zu Gewalt, aber ich denke, dass liegt an der Situation. Wir haben es geschafft, in nur einem Tag die verfaulte Staatsmacht zu verjagen und Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Ich denke, das zeugt von der Potenz der Opposition.

Osch wurde aber weder von Städtern oder Studenten genommen, sondern von Bergbauern und Viehzüchtern. Handelt es sich nicht eher um einen Bauernaufstand als um eine demokratische Revolution?

Nein. Immer mehr Städter und Studenten schließen sich den Protesten an, und wir haben klare politische Forderungen. Akajew muss zurücktreten, das wird unser Land demokratisieren. Die Kirgisen aus den Bergdörfern sind eben diejenigen, die von der Raffgier des Staates am meisten betroffen sind.

Ist ein Bürgerkrieg möglich?

Vieles hängt von Akajew und seiner Umgebung ab. Ihm ist alles zuzutrauen. Doch die Opposition unternimmt alles, damit es zu keiner Gewalteskalation kommt. Wir hatten praktisch keine Plünderungen in Osch und Dschalalabad, obwohl das Staatsfernsehen in Bischkek dies immer meldet. Es gibt keinen Anlass, von einem ethnischen oder regionalen Konflikt zu reden. Süden oder Norden, Kirgise oder Usbeke, das spielt hier keine Rolle. Uns eint der Kampf gegen Askar Akajew. Mit Anwar Artikow hat das Volk das erste Mal wieder einen Usbeken an die Spitze der Spitze der Provinz Osch gestellt, und wir sind im engen Kontakt mit der usbekischen Gemeinde in Kirgistan.

Ist die kirgisische Revolution in einer Reihe zu sehen mit der georgischen und der ukrainischen Revolution?

Natürlich gibt es Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede. Die Ereignisse haben dazu geführt, dass Stiftungen, etwa die in der Ukraine sehr aktive amerikanische Soros-Stiftung, sich in Kirgisien nicht die Finger verbrennen wollten. Sie bewahren strikte Neutralität. Wir erfahren keine Unterstützung aus dem Westen.

Werden Sie eine Vermittlerrolle der US-Botschafters in Bischkek, der UN oder der OSZE annehmen?

Uns ist jede Vermittlerrolle höchst willkommen, aber ich möchte unterstreichen, dass es sich hier um eine Revolution in Kirgisien handelt. Sie ist zu 100 Prozent getragen von den Menschen in diesem Land.

Was erwarten Sie, wie sich Russland in diesem Konflikt verhält, da Moskau bisher massiv die Position Askar Akajews gestützt hat?

Ich hoffe, an den Gerüchten, Russland wolle die Position Akajews mit militärischer Hilfe stützen, ist nichts Wahres.

Muss Russland nicht fürchten, dass es in Kirgisien ohne Akajew einen Verbündeten in Zentralasien verliert?

Russland ist und bleibt unser strategischer Partner, daran wird sich auch nach einem Rücktritt Akajews nichts ändern. Ich sehe in der kirgisischen Außenpolitik keinerlei Korrekturbedarf, wir werden da nichts neu erfinden müssen.

Werden Sie nach Bischkek ziehen?

Ja, aber wann und wie, wird sich zeigen.

FRAGEN: MARCUS BENSMANN