Der Mensch als Gefangener

Ein Gespräch mit Regisseurin Konstanze Lauterbach und Dirigent Stefan Klingele über ihre Inszenierung von „Ariane et Barbe-Bleue“ und die Schwierigkeit, Freiheit zu leben

taz: Frau Lauterbach, warum inszeniert eine Regisseurin, die sich in den vergangenen Jahren immer sehr streitbar mit dem Thema Freiheit auseinander gesetzt hat, eine Oper, in der Freiheit als eine zum Scheitern verurteilte Utopie erscheint?

Konstanze Lauterbach: In meinen Inszenierungen habe ich die Freiheit nie als etwas dargestellt, was auf siegreichen Bannern herumflatterte. Da sind immer auch große Stücke gewesen, in denen der Versuch, diese Freiheit zu leben, meist gescheitert ist. Deshalb ist das Thema der misslungenen Befreiung in „Barbe-Bleue“ auch heute nicht abwegig. In diesem Stück starten die Frauen einen Befreiungsversuch, und der endet wieder im Gefängnis. Am Ende verraten die Befreiten ihre Befreierin.

Kein sonderlich ermutigender Schluss.Lauterbach: Ich empfinde diesen Schluss als abgrundtief hart, weil die Ariane merkt, dass sie allein gelassen wird. Wie sich diese Figur hervorhebt aus dieser ewigen Normalität, in der Frauen keine wirklichen Ansprüche an sich selber haben und den Terror der Unterwerfung der Ungewissheit der Freiheit freiwillig vorziehen. Der Mensch bleibt sich so ein Gefangener.

Ist es diese Furcht vor der Freiheit, die das Stück thematisiert, die es heute noch so aktuell erscheinen lässt? Lauterbach: Das Stück hat für mich ein großes, immer noch aktuelles gesellschaftspolitisches Fundament. Es ist zwar im 19. Jahrhundert geschrieben worden, aber was mich interessiert, ist dieser merkwürdige Wiederholungszwang im Handlungsmuster: Dass man aus der eigenen Gefühlskapsel, aus den Regulaten dieser Gefühlskapsel nicht herauskommt.

Und so müssen wir uns auch Blaubart vorstellen? Lauterbach: In der Tat ist dieser Blaubart jemand, der seine Beziehungen zu Frauen nicht bewältigt. Der immer wieder regressiv und gewalttätig wird, dabei aber eigentlich eine Sehnsucht nach etwas anderem verspürt.

Also sehen Sie Blaubart nicht nur als Täter? Lauterbach: Nein, ich finde eine Dämonisierung der Figur nicht angemessen. Das meinten weder Dukas noch Maeterlinck. Die Ariane greift Blaubart ja in seine Innenräume hinein und er lässt in sich hineingreifen. Nur kommt er dabei nicht weiter als zu bestimmten instinktiven Ahnungen wie ein anderes Verhältnis zu Frauen aussehen könnte.

Stefan Klingele: Man könnte das Stück heute umkehren. Wenn ich einen solchen Text schreiben würde, schriebe ich einen mit einer Blaubärtin und mehreren Männern, also etwas Geschlechter-Unabhängiges.

Es geht für Sie in der Oper also nicht um die Emanzipation der Frauen von ihrem Unterdrücker? Lauterbach: Es geht nicht um eine programmatische Emanzipation, sondern es geht eine Schicht tiefer. Die Ariane hat kein Programm, sondern handelt aus einem natürlichen Instinkt heraus. Maeterlinck hat eigentlich beschrieben, wie man sich aus seinen Normierungen heraus nur noch verhält und nicht mehr handelt.

Was ist sein Gegenentwurf? Lauterbach: Maeterlinck sucht in Barbe-Bleue Momente, in denen sich Instinkte melden und Emotionen, die gegen diese Normierungen im Körper rebellieren, und das ist ja immer ein Thema von mir. Ich halte das für sehr modern in einer Welt, wo die Kulissen des Glücks täglich vorgeführt werden und man mehr mit dem Überleben als mit dem Leben beschäftigt ist.

Wie lässt sich dieses Spannungsverhältnis zwischen der aktuellen Thematik des Textes und der an Wagner und Debussy orientierten Musik von Dukas lösen? Klingele: Die Musik ist 100 Jahre alt und ein Abbild der großen Suche von damals, als die Kompositionstechnik mit zwölf Tönen einfach an einem Ende angekommen war. Das Stück versucht alles herauszuholen, was aus der Technik noch herauszuholen war, und hat deshalb auch einen besonders hohen Perfektionsgrad. Es ist ein Meisterwerk in Bezug auf das, was damals mit den Tönen möglich war, mit den Orchestern, mit den Instrumenten, mit der Motivik.

Interview: Matthias Rieger