Urdrüs wahre Kolumne
: Über Bilanzverbrechen und Co.

Derzeit beobachte ich das Treiben in Bremen aus der Sicht der Reichshauptstadt Berlin, von dort also, wo in Gammelkellern des Regierungsbezirks Mitte noch Schilder mit Aufschriften wie „Holzhauen und Koksklopfen verboten“ oder auch „Gashauptabsperrschieber Platz freihalten“ zu finden sind und ein sehr allgemein gültiger Aushang mahnt: „Umherstehen vor der Haustür sowie unnützer Aufenthalt auf Hof, Flur und Treppen ist strengstens untersagt“. Andererseits weiß man sich hier der Hansestadt insoweit auf höchst verblüffende Art verbunden, als ein türkischer Gemüsehändler in der Adalbertstraße auf jeden Sieg des SV Werder am Montag auf Nachfrage 15 Prozent Rabatt gewährt. Ach wäre dieser gute Muselmann doch bei der Bremer Kneipennacht im „Schüttinger“ dabeigewesen, als Lars Vegas dort vor völlig enthemmter Zuhörerschaft im Trikot des Deutschen Meisters das Werderlied anstimmte …

Bemerkenswert auch, dass in den ganz ganz großen Zeitungsläden der Hauptstadt tagesfrische Exemplare fast aller deutschen Großstadt-Gazetten zu finden sind, der Weserkurier allerdings ausgespart wird: Man will offenbar jeder möglichen Debatte um Kanzlerbriefe durch strikte Nichtbeachtung ausweichen!

Übrigens kündet der Werbeaufsteller des Imbiss neben der Zeitschriftenhandlung voller Stolz „Fleisch live vom Grill“,und wenn man dabei vom Kiosk her das Gesicht von Joschka Fischer müde blinzeln sieht und sich dabei seiner früheren Existenzform als Langlauf-Guru erinnert, kommt ein Stück gut abgesicherter Schadenfreude auf, zumal auf dem Titelblatt daneben Filmdiva Judy Winter ihren Wunsch nach einem echten Mann bekennt, für den Geschmack des Bundesaußenminister vermutlich dreißig bis vierzig Jahre zu spät.

Bleibt immerhin der Besuch bei der taz nord im Internet, um sich über die senatorischen Wolkenkuckucksheime der virtuellen Medienpräsenz zu informieren, mit der so manches finanzielle Desaster schön gerechnet wird. Den beißenden Schweißgeruch, den das Teutsche Turnfest bundesweit verbreiten wird, mit über 15 Millionen Euro auf der Habenseite zu verbuchen, ist in der Tat ein Bilanzverbrechen, für das sich bei Preußens anständig gebliebene Buchhalter oder ehrbare hanseatische Kaufleute diskret im Nebenzimmer erschossen hätten.

Zu erfahren, dass das für derlei Rechenkunststücke verantwortliche Milchmädchen Frank Haller heißt, belegt einmal mehr, was von der Wissenschaftlichkeit dieses ausgehaltenen Manipulators zu halten ist. Während dieser dreiste Speckjäger diesem Lande vermutlich bis ans Ende seiner, Tage erhalten bleibt, haut Intendant Klaus Pierwoß in zwei Jahren bei Vertragsablauf in den Sack und man hört förmlich das Aufatmen im Kreis der kulturbürokratischen Hofschranzen, während sich die Windmacher und Trickbetrüger schon mal in den Startlöchern drängen, um sich mit unerfüllbaren Versprechungen als Helfer in der Not anzudienen. Und so werden wir ihn erleben, den Schleiertanz auf dem Nashornrücken, dargeboten von den Solisten der Compagnie Größenwahn, begleitet von der Vision der schwarzen Null bei gleichzeitigem Aufstieg in die europäische Champions League des Theaters.

Wo der Hase läuft, verrät die taz ihren Leserinnen pflichtgemäß zum Osterfest und vergisst dabei dankenswerterweise nicht die Erwähnung der Thomas-Messe an Ostersonntag um 18 Uhr im Dom. Ich aber sage Euch, dass Ihr die Wundmale des Herrn nur schauen werdet, wenn Ihr euch trotz alledem an den Ostermarsch-Kundgebungen der Friedensbewegung beteiligt, bevor Bremer Werften die nächsten Rüstungsaufträge verkünden. Im übrigen bitte ich alle LeserInnen dieser Zeilen, ihre im Seelengleichklang lebenden Freunde, Genossinnen und Bekannten darauf aufmerksam zu machen, dass der Endesunterzeichnete wegen dringlicher Vorsprache beim urologischen TÜV gezwungen ist, seine Veranstaltung am kommenden Freitag in der GaDeWe abzusagen. Dafür freundlicherweise eingeplante Aprilscherze können gern im revolutionären Mai nachgeholt werden.

Und so schließe ick diese ßeilen aus Berlin mit einem zeitgemäßen Gruß von Karl Marx zur aktuellen Lage an der Algzwo-Front, den ich einem anonymen Handverkäufer der Zeitschrift ARRANCA! („für eine linke Strömung“) am Hermannplatz in Neukölln zu verdanken habe: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortlaufend zu revolutionieren.“ Vorwärts mit den Genossen Schröder, Eichel, Clement & Co. ruft da voller Begeisterung Ulrich Redsox Reineking