„Emanzipationskulissen“

Gruselige Frauenbilder im ZDF, Rollenklischees im Tierfilm und Männerrunden mit Moderatorin: Die Journalistin und Autorin Andrea Kaiser weiß, wie virulent das Geschlechterthema im Fernsehen ist

Interview Silke Burmester

taz: Frau Kaiser, Sie haben für Ihr Buch abwechselnd mit Ihrer Koautorin Barbara Sichtermann eine Woche lang querbeet ferngesehen. Wo war die Darstellung von Frauen am gruseligsten?

In der neuen ZDF-Schnulzfilmreihe „Inga Lindström“. Das ist Fernsehen für die reifere Frau, die noch stark traditionellen Werten anhängt. Da hat man dann die gute Frau mit Eheorientierung und der Frage: Wie finde ich einen Mann? Im öffentlich-rechtlichen Programm für Ältere findet man relativ viele gruselige Frauenbilder. Wir haben aber auch lustige Dinge entdeckt.

Zum Beispiel?

Tierfilme. Wie viele Geschlechterrollenklischees da reproduziert werden! Es gibt dort eine Analogisierung zwischen Menschen und Tieren.

Nun könnte man sagen, die Rollenverteilung im Tierreich ist biologisch bedingt.

Ich meine die Kommentierung: „Mama Waschbär bringt die lieben Kleinen ins Bett.“ Kein Waschbär hat ein Bett. Das sind die Analogien zwischen Tieren und Menschen. Was vermeintlich natürlich ist, wird zum Umkehrschluss: Aha, Mamas müssen die Kinder ins Bett bringen. Nicht die Papas. Bloß weil die Waschbären das so machen …

Und auf der Menschenebene?

Die Haupterkenntnis dieser Fernsehwoche ist, wie virulent das Geschlechterthema ist: Was tun Frauen, und was tun Männer? Sehr aufschlussreich sind die Soaps. Es scheint, als ginge es dort für das junge Publikum um die Einübung von Rollenverhältnissen. Es wird immer wieder diskutiert, wie Paarbeziehungen zu gestalten sind. Wie bei dem Satz: „Es ist nicht mein Kind – es ist unser gemeinsames Kind.“ Der aktuelle Stand der Dinge wird dort ausgemacht. Das spielt auch in den Talkshows am Nachmittag eine Rolle: „Man muss miteinander sprechen“, erklärt der Psychologe dort dem Paar, das sich gerade an die Gurgel geht.

Talks, Soaps und Schmonzetten gelten als frauenaffines TV. Das manifestiert den Eindruck, es gäbe normales Fernehen – und Frauenfernsehen.

Überwiegend gucken Frauen und Männer ganz ähnlich fern. Aber es gibt deutliche Präferenzen. Bei den Männern ist es Sport. Und Frauen bevorzugen nach wie vor Formate, wo es um Beziehungen geht. Deshalb müssen die ja nicht schlecht sein.

Was hat Sie denn am meisten überrascht?

Dass so wenig Frauen Drehbücher für TV-Krimis schreiben. Schließlich ist der Buchmarkt voll von Krimiautorinnen. Es war eine Zufallsentdeckung, aber es gibt nicht nur wenig Regisseurinnen, es gibt auch wenig TV-Krimiautorinnen.

Warum?

Wir haben mit einigen Redakteurinnen gesprochen. Die sagen: Frauen sind gut in Beziehungsgeschichten, schreiben aber keine guten Krimiplots.

Frauen sind an vielen Filmen als Redakteurinnen und Producerinnen maßgeblich beteiligt. Kann es sein, dass sie lieber mit Männern arbeiten?

Das mag sein. Angeblich gibt es auch von Schauspielerinnen die Ansage, dass sie lieber mit männlichen Regisseuren arbeiten. Ein Grund, der auch genannt wird, ist, dass die männliche Perspektive mit in den Film soll. Wenn man eine Producerin hat und eine Drehbuchautorin, dann wird oft ein Regisseur gesucht. Zufällig hat der dann den besten Job von allen abgestaubt.

Frank Schirrmacher hat dennoch eine „Akkumulation“ von Frauen im Fernsehen entdeckt und dahingehend gedeutet, dass sie die Macht hätten. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es hat sich unheimlich viel zum Positiven geändert. Diese Feststellung allein war die Arbeit wert. Bei den Fragestellungen: Was machen die Zuschauerinnen, was die Macherinnen?, gibt es sehr auffällige Diskrepanzen. Nicht zuletzt die vielen Nachrichtenfrauen und Talkerinnen wie Illner, Christiansen und Maischberger haben Schirrmacher zu seinem Amoklauf veranlasst. Aber tatsächlich ist das anders: Auf dem Bildschirm ist, feministisch gesprochen, eine Emanzipationskulisse errichtet worden, die sich im Hintergrund, in den Strukturen, den Hierarchien nicht findet.

Christiansen ist de facto mächtig.

Ja, mächtig geworden. Weil sie für die ARD sehr hohe Einschaltquoten generiert. Die Moderatorin an und für sich ist aber erst einmal eine ziemlich machtlose Person – obwohl sie dem Zuschauer oder Frank Schirrmacher mächtig erscheint.

Christiansen ist auch für das politische Berlin wichtig: Als Salon-Chefin garantiert sie, dass Männer sich störungsfrei, das heißt ohne Frauen, entfalten und ihre Bündnisse aufrechterhalten können.

Das ist richtig in der Wirkung. Aber ich glaube ihr, dass ihre Redaktion sich bemüht, mehr Frauen dorthin zu bekommen.

Im Vorspann von Christiansens Sendung taucht sie selbst fünf Mal auf. Außerdem eine Frau und 17 Männer. Nicht mal Hillary Clinton ist eingefügt worden. Das zeigt doch deutlich, welches Gewicht Frauen zugemessen wird.

Das habe ich nicht durchgezählt. Und auch nicht, wie viele Männer sie in einem Jahr in ihrer Sendung hat. Es ist aber wichtig, dass man dort, wo Männer solche Runden so deutlich dominieren, eine Moderatorin hinsetzt. Ein Moderator und nur Männer als Gäste – das fiele mittlerweile auf. Und zwar unangenehm.

Dann ist die Frau wieder das Nummerngirl.

Ich würde es differenzierter sagen, weil man Gefahr läuft, die Frauen zu verunglimpfen, die das ja zum Teil sehr gut machen. Nach dieser Vorrede muss man sagen: Natürlich. Fernsehen ist ein optisches Medium, und deshalb ist es wichtig, da eine Frau hinzusetzen. Dem Zuschauer und vor allem der Zuschauerin würde sonst unbehaglich.

Hätten wir denn mit mehr Frauen an den Schaltstellen der Macht ein anderes Programm?

Wir haben mit Frauen aus den öffentlich-rechtlichen Sendern und den privaten gesprochen. Die Frauen aus den öffentlich-rechtlichen haben eher einen journalistischen Hintergrund, die aus den privaten eher einen Managerhintergrund. Und während die Frauen von ARD und ZDF gesagt haben: Ja, natürlich wollen wir ein anderes Programm machen, Frauen sind anders, die haben andere Perspektiven – sagen die aus den Privaten: Ich mach das, was Quote macht. Ob ich ein Mann bin oder eine Frau, ändert nichts an dem Programm von Vox, sagt zum Beispiel Anke Schäferkordt.

Wie beurteilen Sie, dass Frau Schäferkordt jetzt Stellvertreterin von RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler geworden ist?

Schäferkordt ist ein sehr interessanter Fall. Als Marc Conrad RTL-Chef wurde, wäre sie von ihrer Qualifikation her bereits in der Umlaufbahn gewesen. Sie ist es aber nicht geworden. Jetzt ist Conrad rausgeflogen, und sie wird immer noch nicht RTL-Chefin, sondern Stellvertreterin. Das hat sie in ihrem Leben schon mal erlebt. Sie war kaufmännische Leiterin von Vox und hat den Programmbereich dazubekommen. Kommissarisch. Die Aufgabe hat sie aber so hartnäckig gut gemacht, und sie haben keinen anderen gefunden, dass sie Geschäftsführerin wurde. Ich finde das bemerkenswert, wie sich das jetzt wiederholt. Und im Grunde ist es doch eine …

Sauerei?

Also, was soll das, dass Frau Schäferkordt, die nachgewiesenermaßen eine gute Managementleistung bei Vox hingelegt hat, sich erst mal wieder bewähren muss? Das kann einen schon ärgern. Aber eventuell ist es sehr realitätsangepasst, wenn Frau Schäferkordt das so als Chance nimmt. Ich hoffe jedenfalls, sie wird bald RTL-Chefin.

Falls sich nicht in der Zwischenzeit ein Schweizer findet.

Ja. Oder ein Österreicher.

Andrea Kaiser (geb. 1964) schreibt als Fernsehkritikerin regelmäßig für „Die Zeit“, „Theater heute“, „Hamburger Abendblatt“ und epd Medien. Gemeinsam mit der Fernsehkritikerin Barbara Sichtermann hat sie sich Frauenbilder und -klischees im deutschen Fernsehen angeschaut und ein Buch darüber geschrieben.Barbara Sichtermann, Andrea Kaiser: „Frauen sehen besser aus – Frauen und Fernsehen“. Kunstmann, 192 Seiten, 18,90 €