Mit Gewalt zum Sieg

Es waren bezahlte Schläger, die am Donnerstag die Demonstranten in Bischkek zusammenprügelten – und so den Sieg der Opposition ermöglichten

AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN

Fassungslos steht Ramil vor der ausgebrannten Fassade des Einkaufszentrums Goin in Bischkek, Plündergut liegt auf dem Bürgersteig. „Wer soll für all die Schäden aufkommen“, murmelt der 24-jährige Tatar. Nach dem erfolgreichen Sturm der kirgisischen Oppositionsanhänger auf den Regierungssitz in Bischkek und der Flucht von Präsident Askar Akajew togen Anarchie und Chaos in die Hauptstadt ein.

Zuerst stürmte die aufgebrachte Menge die Einkaufszentren, die dem Sohn des kirgisischen Präsidenten gehören. Doch dann kannte die Plünderwut keine Grenzen mehr. Lebensmittelläden, Elektrogeschäfte, Internetcafés wurden ausgeraubt. Die Kirgisen, die aus den ärmlichen Provinzen kamen, um die oppositionellen Anführer zu unterstützen, fühlten sich angesichts des Warenreichtums wie im Schlaraffenland. In Autos und Handkarren transportierten sie Waschmaschinen, Fernseher oder Computer ab. Aber auch die städtische Bevölkerung wurde angesteckt, und so konnte man gut gekleidete Männer und Frauen sehen, die stolz die nächtliche Beute nach Hause trugen.

Am Tag vor den Plünderungen, am Donnerstagnachmittag, hatten Spezialeinheiten das aus weißem Marmor errichtete Regierungsgebäude, das „Weiße Haus“ von Bischkek, abgeriegelt. Auf dem benachbarten Freiheitsplatz versammelten sich rund 5.000 Menschen. Dann plötzlich fuhren Busse vor, und junge Männer mit weißen Kappen, mit Stöcken, Schilden und Steinen bewaffnet, sprangen heraus und attackierten sofort die Oppositionsanhänger. „Das war keine Polizei, das waren eindeutig bezahlte Schläger und Kriminelle“, sagt Kabai Karabekow. Der ehemalige Pressesprecher des Präsidenten ist Abgeordneter des kirgisischen Parlaments, bei den jetzigen Wahlen hat er – davon ist Karabekow überzeugt – seinen Wahlkreis aufgrund von Fälschungen verloren.

Als die Männer mit den weißen Kappen die Demonstranten attackierten, erreichte ein weiterer Protestzug mit mehreren tausend Oppositionsanhängern die Kundgebung. Gemeinsam gelang es, die Angreifer in die Flucht zu schlagen. Nun waren die Demonstranten nicht mehr zu halten und stürzten sich auf die Sicherheitskräfte, die Akajews Regierungssitz schützten sollten.

Nach einem kurzen Handgemenge durchbrachen die Demonstranten den Polizeikordon und drangen in den Regierungssitz ein. „Bis zur siebten Etage haben sie alles zerstört“, sagt Karabekow, „alle Dokumente und Akten sind vernichtet.“ Der kirgisische Präsident setzte sich ins Ausland ab, und der uneinheitlichen kirgisischen Opposition fiel in weniger als 30 Minuten die Macht im Staat zu. „Wir hatten das so nicht geplant“, versicherte Rosa Utanbaewa, die in der Interimsregierung das Außenministerium übernahm.

Exsicherheitschef Felik Kulow, der seit Jahren wegen Korruptionsvergehen in Haft sitzt, wurde freigelassen; ihm übertrug die Opposition die Verantwortung für alle Sicherheitskräfte. In einer nächtlichen Sitzung ernannte das „alte“ Parlament Oppositionsführer Kurmanbek Bakijew zum neuen Premierminister. Da Akajew das Land verlassen hat, übernimmt Bakijew geschäftsführend das Präsidentenamt.

Gleichzeitig erklärte das Oberste Gericht die von Akajew vorgezogene Registrierung der aus der umstrittenen Parlamentswahl hervorgegangen Abgeordneten für ungültig.

Auf dem Freiheitsplatz versammelten sich auch gestern wieder tausende Protestierende. Zweimal setzten sie zum Sturm auf das kirgisische Parlamentsgebäude an, da sich das Gerücht verbreitete, die neu gewählten Abgeordneten würden dort ebenfalls tagen. Mit Mühe konnte Bakijew die Menschen vom Sturm abhalten. Bakijew führte die wütenden Protestler persönlich vom Parlament weg.

Die gerade ernannte Außenministerin Utanbaewa ist optimistisch, dass die neue Regierung sich schnell etablieren wird. „Der neue Leiter der Sicherheitskräfte, Felix Kulow, hat alle Vollmachten“, sagt Utanbaewa. „Wir bedauern den durch die Plünderungen verursachten Schaden sehr“, man werde sich um Kompensationen kümmern. Die Männer vom Durdoi-Basar trauen dem nicht. Mit Knüppeln bewaffnet, wollen sie diesen vor Plünderungen zu schützen. „Wir sind einfache Leute“, sagt der 21-jährige Murat, „der Basar ernährt uns, wir dürfen ihn nicht verlieren.“