Sex mit Fischen

Was haben Mösen und der Herder Verlag gemeinsam? Eine Skandalgeschichte (1)

„You heard right: The Secret Word for tonight is Mud Shark!“

Im April erscheint im Freiburger Herder Verlag ein Buch mit Musikanekdoten: „Wie Popsongs unser Leben retteten“. Auf dem Cover heißt der Herausgeber Fritz Pfäfflin. Doch Pfäfflin gibt es in Wirklichkeit nicht, er ist eine Kunstfigur des Verlages. Ursprünglicher Herausgeber des Bandes war der Braunschweiger Autor Frank Schäfer, der die Herausgeberschaft unter Protest zurückgegeben hat, nachdem Herder in der Endphase der Buchproduktion plötzlich eine Geschichte des Irlandkorrespondenten der taz, Ralf Sotscheck, aus dem Band entfernte. Sotscheck erzählt die wahren Hintergründe einer alten Rock-’n’-Roll-Legende über Groupies und Fische und Mösen. Das Wort Möse jedoch ließ die Alarmglocken im katholischen Herder Verlag schrillen. Schließlich entschied die Chefetage des Verlags, dass der Sotscheck-Text nicht gedruckt werde. Da sich wiederum die Wahrheit mit dem Kegeln von Texten durch Chefs gut auskennt, gibt sie heute und morgen den Lesern die Möglichkeit, selbst zu beurteilen, warum die Klemmies von Herder der Welt den Mösentext vorenthalten wollten.

Dann verloren wir den Auspuff. Wir, vier Berliner und ein US-Amerikaner, waren unterwegs nach Norwegen zum Sommerhaus der Oma eines Freundes, als auf der schwedischen Autobahn der schicke Opel Rekord Coupé, den wir für wenig Geld für die Reise angeschafft hatten, plötzlich wie ein alter Traktor knatterte. Es war Sommer ’73, ein paar von uns hatten gerade das Abitur gemacht, ein paar mussten ein Schuljahr wiederholen.

In der Werkstatt hatten sie einen Auspuff vorrätig. Weil die Urlaubskasse recht knapp bemessen war, boten wir dem Mechaniker als Bezahlung eine Flasche Wodka an, die wir unterwegs im Intershop in Michendorf billig erstanden hatten. Zu unserer Überraschung willigte er sofort ein. In unserer Dankbarkeit drängten wir ihm auch noch eine Flasche Cointreau auf. Später bekamen wir deshalb Ärger mit unserem Gastgeber Thor in Norwegen. Wir hätten den Mann völlig überbezahlt, Alkohol koste in Skandinavien ein Vermögen. Schon der Wodka sei mehr als genug gewesen, aber die Flasche Cointreau war völlig übertrieben. „Der Mechaniker ist jetzt eine Woche besoffen“, meinte Thor, „während wir darben müssen.“ Thor konnte einen einzigen Satz auf Deutsch: „Ich bin ein Thor.“ Leider wiederholte er ihn mehrmals täglich.

Jedenfalls fuhren wir mit unserem Opel weiter, der nun so leise schnurrte, dass man wieder Musik hören konnte. Joe, der Ami, legte eine Kassette ein: „The Mud Shark“ von Frank Zappa und den Mothers. „That’s right, you heard right“, erzählte Zappa, „the Secret Word for tonight is Mud Shark! And of course with the Mud Shark Secret Word is the Mud Shark Arpeggio … a marvellous little arpeggio, and now the mating call of the adult male Mud Shark … Mud Sh-sh-shark. We’re gonna do a little dancing, a little dancing thing called the Mud Shark. Now, this dance started up in Seattle.“

Joe kicherte leise vor sich hin. Mir war das alles ein Rätsel, in der Schule bringen sie einem im Englischunterricht so etwas nicht bei. Was zum Teufel war ein Schlamm-Hai? Das Reisewörterbuch gab nur ungenügend Auskunft: Es gebe 250 Arten von Haien, und fast alle haben fünf Kiemen. Eine Hai-Familie, die Hexanchidae, habe jedoch sechs Kiemen. Es gebe zwei Arten davon: Die „Hexanchus griseus“ und die „Hexanchus vitulus“. Umgangssprachlich heißen Erstere „Cow Sharks“, „Bulldog Sharks“ oder eben „Mud Sharks“.

Aha. Das war nicht wirklich hilfreich, aber Zappa erzählte weiter: „Lemme tell you ’bout the Mud Shark …“

Die Platte war im Juni 1971 live im Fillmore East aufgenommen worden, es war ein Konzert von Zappa mit den Mothers sowie John Lennon und Yoko Ono. Lennon und Ono haben ein Jahr später ihr Doppelalbum „Sometime in New York City“ herausgebracht. Die erste Scheibe ist im Studio aufgenommen, die zweite ist eine Live-Aufnahme von jenem Konzert im Fillmore. Die Innenhülle hat dasselbe Cover wie Zappas Live-Album, aber Lennon hat mit Rotstift alles durchgestrichen und seine eigenen Songtitel hinzugefügt.

Das alles wusste ich damals natürlich nicht. Joe dagegen lachte sich scheckig und versuchte, uns den Sinn des Songs zu erklären. „Nun, es gab da diese Sache mit Led Zeppelin“, meinte er. „Die haben 1969 mal im Edgewater Inn in Seattle am Puget Sound übernachtet, es muss am 27. Juli gewesen sein, als die Band am Seattle Pop Festival teilnahm.“ Ja, und? Das ist ja noch lange kein Stoff für einen Song. „Nein“, gab Joe zu, „aber die Gäste konnten von ihren Zimmern aus angeln, weil gleich vor der Tür der Ozean lag. Die Band hat einen Mud Shark gefangen.“ Und weiter? Man musste Joe jedes Wort aus der Nase ziehen. „Na ja“, sagte er, „da war auch ein 17-jähriges rothaariges Groupie namens Jackie auf dem Zimmer. Sie sagte, sie liebe es über alles, gefesselt zu werden.“ Und was hatte das mit dem Hai zu tun? „Die wohlerzogene englische Band besorgte vom Hotelpersonal ein Seil, entkleidete Jackie und fesselte sie ans Bett.“ Und der Hai? „Nun ja“, kicherte Joe, „der Road Manager der Band schob Jackie den lebenden Hai in die Möse.“

RALF SOTSCHECK

FORTSETZUNG MORGEN