Ploppen und toben

Ameisenhaufen imitieren und Gitarren schmirgeln: Das Kammerflimmer Kollektief zog im Bastard in den Bann

Was es zu bedeuten hat, dass sich heute, im Zeitalter der Laptopmusik, Musiker zu immer größeren Gruppen zusammenfinden und der Begriff „Kollektiv“ inflationär missbraucht wird, dürfte einer Untersuchung bedürfen. Als das Karlsruher Kammerflimmer Kollektief im Bastard spielte, machte es allerdings deutlich, dass man es mit all den anderen „Kollektiven“ dieser Tage nicht über einen Kamm scheren kann – weder mit dem humoristischen Alien-Folk des New Yorker Animal Collective, noch mit Matthew Herbert, der sich zuletzt eine Big Band castete, und schon gar nicht mit dem Club-Jazz aus dem Umfeld des Berliner Sonar Kollektiv.

Das gemeinsame Aufeinander-Hören und Zu-Hause-Lassen dominanter Egos im Interesse eines homogenen Klangs: Nach einem DJ-Set des Staubgold Soundsystems, zu dem sich die im Bastard wohnenden Spinnen noch dabei beobachten ließen, wie sie sich ein ruhiges Plätzchen suchten, stellten Kammerflimmer Kollektief ihr neues, nach einer milden Form epileptischer Anfälle benanntes Album „Absencen“ vor. Die Musikzeitschriften geraten über dieses Werk derzeit kollektiv ins Schwärmen: Das Ensemble verfolge weit mehr als die „Reproduktion whiskeygetränkter Cool-Jazz-Idiome“, liest man zum Beispiel in der aktuellen Spex.

Das in Besprechungen für instrumentale Jazz-Musik auch gerne verwendete Bild, sie klinge wie der Soundtrack zu einem Film, der erst noch gedreht werden müsse, drängte sich – mag es auch schmerzen – im Bastard abermals auf. Die dortige, von oben bis unten mit Magazinschnipseln tapezierte Seitenwand schätzt man schließlich als stetig sprudelnden Quell disparatester Bildimpulse: Wo Peter Maffay auf den Allerwertesten von Peaches und Alexis Carringtons biestiges Lächeln trifft, geraten auch Gedanken und Assoziationen ins Flimmern.

Wobei es keineswegs so war, als habe man auf der Bühne nicht schon genug zu sehen bekommen. Im Gegenteil: Ähnlich disparat wie die Schnipselwand stellten Kammerflimmer Kollektief ihre aus Rock, Country, Free Jazz und Elektronik geliehenen Fragmente nebeneinander. Besonders Johannes Frisch, der Kontrabassist, wusste dabei Blicke auf sich zu ziehen. Man lernte viel Neues über das Klangrepertoire seines Holzungetüms, das gemeinhin als schwerfälligstes aller Streichinstrumente gilt.

Während Heike Aumüller, die mit ihrem Harmonium auf dem Boden der Bühne Platz nahm, optisch eher den Ruhepol bildete, ließ Dietrich Foth, der Saxofonist, seine Instrumente ploppen und flattern. Es klang, als wolle er Ameisenhaufen imitieren, sein Kopf wurde dabei so rot wie das T-Shirt, das er trug. Thomas Weber bearbeitete seine vor ihm liegende Gitarre derweil mit Schmirgelpapier und spielte elektronische Atmosphären ein, die mal nach Vogelgezwitscher klangen, mal einem analogen Blubberbad ähnelten. Mit diesen wunderbar entschleunigten Schwebemusiken wusste das Kammerflimmer Kollektief sein Publikum in Bann zu ziehen.

Den Auftritt beendeten sie allerdings mit einem nur wenige Sekunden tobenden Speed-Metal-Gewitter – one two three four! Die heftigste Eruption des Abends, und gewissermaßen die musikalische Entsprechung dessen, was Fernsehhypnotiseure am Ende ihrer Gags mit dem berühmten Fingerschnippen bezwecken. JAN KEDVES