Chaos im irakischen Parlament

Bei der zweiten Sitzung der Abgeordneten wird die Wahl eines Parlamentspräsidenten verschoben. Auch bei der Regierungsbildung geht es nicht voran. Dies sorgt für Unmut vieler Volksvertreter

VON KARIM EL-GAWHARY

„Was sollen wir eigentlich denjenigen sagen, die ihr Leben riskiert haben, um an die Urnen zu gehen?“ Der Redebeitrag des irakischen Abgeordneten Hussein al-Sadr war symptomatisch für die peinliche turbulente zweite Sitzung des neuen irakischen Parlaments. Die irakische Regierungsbildung geht einfach nicht voran. Eigentlich hätte die Volkskammer gestern wenigstens einen Parlamentspräsidenten ernennen sollen, um dann die Diskussionen über die Bildung einer Regierung beginnen zu können.

Doch auch diese Entscheidung wurde gleich zu Beginn der Sitzung von dem kommissarischen Sprecher des Parlaments, Dhari al-Fajadh, „auf unbestimmte Zeit verschoben“.

Daraufhin verliehen einige der 275 Abgeordneten über die Sitzreihen hinweg ihrem Unmut über die Verzögerung der Regierungsbildung Ausdruck. „Wir wollen endlich wissen, was bei den geheimen Verhandlungen hinter den Kulissen geschieht“, schrie eine Abgeordnete nach vorne, bevor das Bild der Parlamentskamera schwarz wurde. Die chaotische Sitzung war unterbrochen worden, um die Medienvertreter wegzuschicken. Bereits am Montag scheiterten die Verhandlungen zwischen ausgewählten schiitischen, kurdischen und sunnitischen Volksvertretern über die Ernennung eines Parlamentspräsidenten, der voraussichtlich ein Sunnit sein soll. Der bisherige Übergangspräsident der Republik, Ghasi al-Dschawar, hatte das Amt abgelehnt. Er soll argumentiert haben, dieses im Vergleich zum Präsidenten und Ministerpräsidenten relativ unwichtige Amt werde die Marginalisierung der einst politisch dominanten Gruppe der Sunniten zementieren. Offiziell nannte al-Dschawar „praktische Gründe“ für seine Ablehnung.

Die Sunniten stellen gerade einmal 17 der 275 Abgeordneten. Viele Sunniten hatten die Wahlen boykottiert oder waren ihnen aus Angst fern geblieben. Trotzdem herrscht unter den irakischen Politikern Konsens darüber, dass sie in den politischen Prozess einbezogen werden müssen. Dadurch sollen die Aufständischen, weitgehend aus Sunniten rekrutiert, politisch isoliert werden. Doch die meisten Anwärter besitzen wenig Einfluss auf Kreise, die mit der irakischen Guerilla sympathisieren.

Unterdessen stecken die Verhandlungen über die Regierungsbildung und die Ernennung des zukünftigen wahrscheinlich schiitischen Ministerpräsidenten und kurdischen Präsidenten vollkommen fest. Das Hauptproblem: Die schiitischen Wahlgewinner und ihre kurdischen Koalitionspartner in spe können sich nicht über den Status der kurdisch-arabischen Stadt Kirkuk, die Verteilung der Öleinnahmen und die Rolle der Religion im Staat einigen. Die Kurden fürchten, dass ihre Forderungen ignoriert werden, wenn die Koalition erst einmal steht. Sie bestehen darauf, dass die Vereinbarungen im Detail schriftlich festgelegt werden, während die schiitischen Wahlgewinner, die bei den Wahlen am 30. Januar knapp eine Zweidrittelmehrheit verfehlten, nur vage Formulierungen im Koalitionspapier sehen wollen.