Filmhistorie von unten

Ulli Wendelmanns Interviewfilm „Jeder Schritt zählt“, gewidmet der gewerkschaftsoppositionellen Gruppe GOG aus dem Opelwerk Bochum, ist im Medien-Pädagogik-Zentrum zu sehen, das bereits über 1.000 Videos gesammelt hat

„Wir haben versucht, marxistische Theorie praktisch zu machen.“

Ein unscheinbares Schild weist in der Susannenstraße den Weg ins Medien-Pädagogik-Zentrum (MPZ), gelegen in einem Hinterhof zwischen Lokma und Asia-Laden. An zwei Abenden pro Woche hat dort das selbst organisierte MPZ geöffnet. Donnerstags abends tagt das Plenum, es gibt einen langen Tisch, eine Ecke mit rotem Sofa und Sesseln, die so alt sein könnten wie das MPZ selbst, das 1973 gegründet wurde von ein paar Studierenden der HfbK: „Ausgehend von der Erfahrung, daß sich die bestehenden Massenmedien vom realen Leben entfernt hatten und den ‚einfachen Menschen‘ keine Möglichkeit gaben, ihre Meinung zu äußern, ging es darum, die ‘Benachteiligten‘, zu Wort und ins Bild kommen zu lassen“. Dies ist als Grundidee im Konzeptpapier des MPZ formuliert.

In über 30 Jahren ist infolgedessen eine einmalige Sammlung von Videodokumenten über alte und neue soziale Bewegungen zusammengekommen – linke Zeitgeschichte, von Werftbesetzungen bis zu Solidaritäts-Filmen zur Hafenstraße. An fast jeder Wand stehen Regale voller Videokassetten: Das MPZ-Archiv umfasst mehrere Tausend davon. Interessenten können während der Öffnungszeiten in den Ordnern nach passenden Videos zu einem Thema suchen, Filme sichten und leihen.

„Gerade mit unseren eigenen Produktionen waren wir oft viel näher an den sozialen Bewegungen dran, als das dem Fernsehen oder auch Dokumentarfilmern gelang“, sagt Olaf Berg vom MPZ. Getragen wird das MPZ durch die unbezahlte Arbeit der acht Vereinsmitglieder. Das MPZ hat nie staatliche Förderung beantragt. „Die Entscheidung hat uns bis heute unsere Unabhängigkeit gesichert“, betont Olaf Berg.

Um das MPZ wieder stärker zu öffnen, findet in unregelmäßigen Abständen die neu eingerichtete „mpz-lounge“ statt. In deren Rahmen wird dort ein Video aus dem Archiv gezeigt, anschließend besteht die Möglichkeit zum Gespräch. Hierfür werden Videos ausgewählt, die einerseits wegen ihrer Länge kaum ins Kino kommen, andererseits thematisch und in ihrer Machart sperrig sind. Zu ihnen zählt der für diesen Donnerstag vorgesehene Film: Jeder Schritt zählt von Ulli Wendelmann. Es ist ein halbstündiger Interviewfilm, in dem Aktivisten der gewerkschaftsoppositionellen Gruppe GOG aus dem Opelwerk Bochum zu Wort kommen. GOG steht für Gegenwehr ohne Grenzen, 1970 als „Gruppe oppositioneller Gewerkschafter“ entstanden. Linke Aktivisten kommen zu Wort, die sich seit Jahrzehnten bei Opel wehren.

Dass es – weitgehend unbemerkt – eine 1968er Ära auch in der ArbeiterInnenbewegung gab, dokumentiert das Video ebenfalls: „Wir haben versucht, die marxistische Theorie praktisch zu machen: Wir wollen nicht nur ein paar Pfennige mehr, uns gehört der ganze Laden hier.“ Als es im Oktober 2004 im Opelwerk Bochum zu einem sechs Tage dauernden Streik kam, und in den anderen Opelwerken nicht, lag das auch an der GOG, die immer forderte, die Arbeiter müssten ihre Interessen in die eigenen Hände nehmen – ohne Rücksicht auf die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie.

Gaston Kirsche

„Jeder Schritt zählt“: Do, 19.30 Uhr, Medien-Pädagogik-Zentrum, Susannenstraße 14 d, Tel 040/439 72 59. Geöffnet Di+ Do 17–19 Uhr