Zuchtlachs infiziert seinen wilden Bruder

Aquakulturen sind ein Paradies für Parasiten und bedrohen so den Bestand der natürlichen Fischpopulation

STOCKHOLM taz ■ Das ungebrochene Wachstum der Aquakultur-Branche bedroht zusehends die natürliche Fischpopulation, das ist inzwischen bekannt. Neu ist aber, dass allein schon das Vorbeischwimmen an Lachszuchtanlagen für Wildlachse zum tödlichen Verhängnis werden kann. Diesem Problem der Fischfarmen an den Küsten zwischen Kanada und Norwegen sei bislang zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden, monieren WissenschaftlerInnen, die in der kanadischen Provinz British Columbia Untersuchungen angestellt haben, jetzt in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Proceedings of the Royal Society.

Die ForscherInnen hatten festgestellt, dass Wildlachs, der sich in Meeresgebieten mit Lachsfarmen aufhielt, eine bis zu 73-mal höhere Infektionsrate mit der Seelaus-Krankheit hatte. Dieser Parasit fügt dem Fisch große Wunden zu und schwächt seinen Allgemeinzustand – oft mit Todesfolge. Als Grund für das hohe Erkrankungsrisiko machten die Wissenschaftler aus, dass die Aquakulturen wie regelrechte Parasiten-Vermehrungsanlagen wirkten – hier fanden sich 30.000-mal mehr Seeläuse als in Gewässern ohne Lachszucht. Der gezüchtete Fisch wird mit Medikamenten und Antibiotika gegen den Befall geschützt, sodass der Schädling sich andere Opfer suchen muss: Bis zu 30 Kilometer von den eigentlichen Anlagen entfernt maßen die Forscher erhöhte Seelausaufkommen und entsprechende Erkrankungen bei Wildlachsen. Die ForscherInnen weisen auf ähnliche Studien in Irland, Schottland und Norwegen hin und sehen in den „Krankheitsstreueffekten der Aquakulturen einen wesentlichen Beweis“ für den von der Branche bislang gern verneinten Zusammenhang zwischen dem kräftigen Rückgang des Wildlachsbestandes und der Lachsaufzucht.

Norwegische Umweltschutzorganisationen nahmen die Veröffentlichung zum Anlass, um zu beanstanden, dass die bisherigen Maßnahmen zum Wildlachsschutz nicht ausreichten. Diese beschränken sich bislang auf eine Ausweitung der Verbotszonen für den Standort von Aquakulturen und die Verschärfung der Schutzvorschriften in den Anlagen – jährlich brechen dort offiziell zwischen 300.000 und 700.000 Zuchtlachse aus, vermischen sich genetisch mit ihren wilden Artgenossen und verdrängen sie so. Allein eine rigorose Trennung der Aquakulturen von der natürlichen Meeresumwelt sei eine Lösung. Das jedoch würde die Aufzuchtkosten und damit die Lachspreise massiv erhöhen. REINHARD WOLFF