Pop für Päderasten

„Dass du dich verliebst, weil du’s mit mir tust, dass es dich so trifft, hab ich nicht gewusst“: Annett Louisan machte im Schillertheater altbackene Ansagen zwischen ihren biologistischen Liedern und das Publikum war milde begeistert

Ganz in Schwarz, im Montmartre-Look mit Baskenmütze, kommt sie auf die Bühne

Viele Songs haben schwer genervt in den letzen Monaten, da waren Wir sind Helden mit ihrem „Denkmal“, Juli mit der „Geilen Zeit“, Silbermonds „Si-hin-fo-nie, ein überspanntes Kind sang von „Schni-Schna-Schnappi“. Am allerschlimmsten und amnervigsten war aber doch immer noch „Das Spiel“ von Annett Louisan.

Vielleicht wäre das Lied an sich gar nicht so scheußlich, hätte man beim Hören nicht stets die Sängerin vor Augen: eine zierliche 25-Jährige mit langem blondem Haar und großen Kulleraugen, die sich ganz bewusst als Kindfrau und Lolita inszeniert. Unerträglich das Video, wo sie sich als Päderasten-Pin-up in weißen unschuldigen Laken wälzt. Aber ihre Stimme gilt vielen als außergewöhnlich oder zumindest charmant, es ist keine große Stimme, aber eine zierliche Kinder-Feen-Hauch-Stimme. Dazu die naiv-poetischen Texte, in die Texter und Produzent Frank Ramond ein paar Pointen eingebaut hat, so dass sie nun als „frivol“ oder lasziv-erotisch gelten. Der große Hit „Das Spiel“, vom 45-jährigen Ramond geschrieben, beschreibt ein weibliches Selbstbewusstsein, in dem das lyrische Ich, die Frau, bewusst männlich konnotierte Verhaltensweisen annimmt: Die Frau ist die Playerin, die nur Sex wollte, und weist den Mann, der Gefühle investiert hat, zurück: „Dass du dich verliebst, weil du’s mit mir tust, dass es dich so trifft, hab ich nicht gewusst.“ Eine interessante Konstellation, wobei die neckisch-kindliche Aufmachung der Sängerin die Rollenumkehrung sofort als Pose entlarvt.

Wenn es auch so scheint, dass alle Menschen im näheren Bekanntenkreis „Das Spiel“ hassen und mit Schreikrämpfen und angetäuschtem Brechreiz reagieren, muss es doch trotzdem sehr, sehr viele geben, die diese Stimme lieben, sonst hätte die Single nicht Platinstatus erreicht, sonst wäre das Schillertheater nicht drei Tage hintereinander ausverkauft.

Dort haben dann auch wirklich keinesfalls nur Päderasten oder ältere Herren mit einer Vorliebe für romantische junge Mädchen hingefunden, es sind auch viele Paare mittleren Alters da und auch einige Twens. Die Bühne ist in rotes Licht getaucht, die Herren Musiker sitzen in schwarzen Anzügen an Kontrabass, Cello, Schlagzeug und Gitarren. Zur Dekoration hat man ein Sofa und eine Wohnzimmerlampe aufgestellt und ein Gemälde aufgehängt, das Porträt einer lasziv posierenden Frau. Die Sängerin selbst hat es gemalt, vor ihrer Karriere war Annett Kunststudentin in Hamburg.

Ganz in Schwarz, im Pseudo-Montmartre-Look mit Baskenmütze, kommt sie auf die Bühne, ist ein wenig aufgeregt und weiß nicht so recht, wie sie das Publikum ansprechen soll: „Das kennt ihr ja, Mädels!“, ruft sie mal etwas anbiederisch, dann siezt sie ihre Fans plötzlich wieder.

Noch viel schlimmer als ihre Lieder stellen sich die auswendig aufgesagten Zwischenbemerkungen heraus. „Welches Kleid soll ich heute Abend anziehen, Schatz, das blaue oder das grüne“ – so beginnt eine ihrer altbackenen Ansagen. Meist geht es darum, wie Männer und Frauen so sind, ob Frauen oder Männer mehr lügen. Ja, so ist das mit den Geschlechtern: Frauen meinen nicht, was sie sagen, und Männer verstehen das nicht …

Trotz des guten Willens, relativ vorurteilslos ins Schillertheater zu gehen, obwohl musiklaisch alles gar nicht so unangenehm ist, der französisch inspirierte Chansonpop hübsch dahinfließt, muss man doch zu dem Schluss kommen: Im Grunde sind die Lieder der Annett Louisan nichts weiter als die Vertonung des bekannten Biologismus-Bestsellers „Warum Frauen nicht einparken können …“ Im Grunde ist es kaum auszuhalten, wie sie sich bei längeren Instrumentalteilen tänzelnd vor den jeweiligen Instrumentalisten stellt, das Köpfchen neigt und körpersprachlich ihre musikalische Ergriffenheit zeigt. Oder wie sie zu einem kleinen Stehtischchen geht und ein paar Sätze aus der „Anleitung zum Unglücklichsein“ vorliest.

Annett Lousian fühlt sich nicht richtig wohl auf der Bühne, wirkt gezwungen und unfrei, das Publikum beklatscht allzu brav die Mandolinensoli und die demontrierte Fingerfertigkeit. So geht dieser Abend eher schleppend zu Ende und man kann nur hoffen, dass das Management und der Produzent für die Zukunft noch andere Rollen für Annett Louisan vorbereitet haben.

CHRISTIANE RÖSINGER