Die schwebende Gefahr

Klar ist, dass Dieselruß krank macht, doch die Zahl der vermuteten Todesfälle ist unklar. Es fehlt an Langzeitstudien

VON NICK REIMER

Pompeji im Jahre 79 nach Christi Geburt: „Der Vesuv erwacht wie ein zorniger Riese nach einem tausendjährigen Schlaf brüllend zum Leben“, schrieb der römische Senator Gaius Plinius Caecilius Secundus. Man könnte den Vulkanausbruch auch moderner bezeichnen: Die Eruption führte zur ersten Feinstaubkatastrophe. Untersuchungen an gefundenen Leichen – der Ascheregen hatte sie konserviert – dokumentieren zu viel Feinstaub in den Lungen. Die Menschen waren zuerst erstickt, bevor sie die Asche begrub.

Natürlich sind Diesel-Pkw kein Vergleich zum Vesuv. Das Prinzip ist aber gleich: Alle Verbrennungsprozesse produzieren Feinstaub – mikroskopisch kleine Partikel, die nicht größer als 10 Mikrometer sind. Über die Lungenbläschen gelangen sie in den Blutkreislauf, und so praktisch in alle Organe. „In hoch belasteten Innenstadtstraßen stammen die Hälfte aller Partikel aus Dieselmotoren“, sagt Marion Wichmann-Fiebig, Leiterin der Luftabteilung beim Umweltbundesamt. Zudem sind die auch als Dieselruß bezeichneten Partikel besonders leicht, weshalb sie mit bis zu drei Stunden am längsten in der Luft wirbeln, bevor sie sich setzen.

Seit in Stuttgart und München die zulässige Feinstaubkonzentration überschritten wurde, rätselt die Republik: Wie gefährlich ist das eigentlich? „Nur für die Kranken ist Feinstaub gefährlich“, sagt Christian Witt, Professor und Leiter der Pneumologischen Abteilung der Berliner Charité. Beispielsweise kostete eine extreme Inversionswetterlage – es herrschte tagelang völlige Windstille – 1952 in London 4.000 Asthmatiker das Leben. Witt: „Kranke Organismen können oft zusätzlichen Belastungen nicht mehr Stand halten. Und eine hohe Feinstaubkonzentration ist natürlich so eine.“

Das hängt einerseits mit der bindenden Wirkung des Schwebstaubes zusammen. Umweltgifte wie etwa Schwermetalle lagern sich an und werden so vom Organismus aufgenommen. Andererseits können die Teilchen selbst auch die Arterien verstopfen – wenn sie sich in entsprechend großer Menge dort ablagern. „Die Wirkungen reichen von vorübergehenden Beeinträchtigungen der Atemwege bis zu einer Zunahme der Sterblichkeit wegen Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf- Problemen“, heißt es in einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes.

Bis 10 Mikrometer, unter 2,5 Mikrometer und ultrafeine Partikel kleiner als 0,1 Mikrometer – die Wissenschaft kategorisiert die international als Particulate Materials bezeichneten Teilchen in drei Größen. Gegen sie helfen weder Atemschutzmaske noch Fenster. Eine Maske, die in der Lage wäre, die Mikropartikel herauszufiltern, müsste nämlich so dicht sein, dass man schon nach kurzer Zeit keine Luft mehr bekäme. Und auch das bestisolierte Fenster eröffnet den Schwebteilchen noch einen Spalt.

Nach einer Studie der EU soll Feinstaub allein in Deutschland 65.000 Menschen jährlich das Leben kosten. Allerdings bezweifelt diese Zahl der Mediziner Christian Witt: „Wir ahnen momentan mehr, als wir wissen.“ Die EU-Zahl basiere auf einer statistischen Berechnung, nicht auf Vor-Ort-Untersuchungen. Der Professor fordert deshalb 10 Millionen Euro, um an stark befahrenen Straßen Langzeitversuche durchzuführen. „Wer heute sagt: Überschrittene Feinstaubgrenzwerte verkürzen das Leben um 8 Monate, argumentiert unseriös“, konstatiert Witt.

Feinstaub, Schwebstaub, Rußpartikel – nur für kranke Menschen eine Gefahr? „Im Prinzip ja“, sagt der Experte. „Das Dumme daran ist nur, dass uns jahrelang eingeatmeter Feinstaub krank machen kann.“