„Wahlfälscher“ sollen sich outen

Die Meldestellen in NRW fordern zehntausende von Deutschtürken auf, ihre Pässe auf den Tisch zu legen. Im ganzen Land haben sich bisher nur zwei Betroffene freiwillig gemeldet. Migrantenvertreter fordern den legalen Doppelpass auch für Türken

VON NATALIE WIESMANN

Die nach dem Jahr 2000 eingebürgerten Türken in Nordrhein-Westfalen werden zum Coming-Out gezwungen. Spätestens kommende Woche erhalten sie Post von ihrer Meldebehörde mit der Frage, ob sie nach ihrer Einbürgerung in Deutschland die türkische Staatsbürgerschaft erworben haben. Wenn ja, sind sie nach dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht keine Deutschen mehr und dürfen bei der Landtagswahl nicht mitwählen. Mit diesem Anschreiben will die Landesregierung die Gefahr verringern, dass die Wahl angefochten wird (taz berichtete).

In Duisburg wollen die Behörden rund 10.000 Briefe an eingebürgerte Türken verschicken, in Essen knapp 2.000. Die Stadt Köln will bei rund 7.000 eingebürgerten Türken nachhaken, ob sie einen türkischen Pass besitzen. Dortmund plant 3.000 Anfragen; hier geht man davon aus, dass rund 800 Deutschtürken wieder einen türkischen Pass beantragt und erhalten haben.

In den Schreiben wird auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen hingewiesen werden. „Wenn jemand, der seine Staatsbürgerschaft verloren hat, mitwählt, gilt er als Wahlfälscher“, sagt Robert Kilp, Leiter des Ordnungsamtes in Köln. Auch in den Wahllokalen sollen deshalb entsprechende Warnungen aufgehängt werden.

„Alle jonglieren mit irgendwelchen Zahlen“, echauffiert sich Tayfun Keltek, Vorsitzender des Kölner Integrationsrats. Nur weil ein Vertreter des türkischen Staates die Zahl von 50.000 illegalen Doppelpässlern in den Raum geworfen hätte, müsse das noch lange nicht stimmen. Den Druck der deutschen Regierung auf die Türkei, die Namen herauszurücken, hält Keltek für schlechtes Theater: „Es gibt in der Türkei eine Zeitung, in der alle neuen Staatsbürger aufgelistet sind.“ Wenn die Regierung Interesse daran hätte, die Namen herauszubekommen, könnte sie das ohne Weiteres. Keltek will daher den Betroffenen nicht raten, den Brief der Meldebehörde zu ignorieren.

Appelle an die Doppelpass-Besitzer, sich zu melden, haben bislang wenig gefruchtet. Nur in Essen haben sich zwei eingebürgerte Türken mit Doppelpässen bei der Verwaltung gemeldet. Ihre deutsche Staatsangehörigkeit wurde eingezogen, sie müssen einen neuen Einbürgerungsantrag stellen. Innenminister Fritz Behrens (SPD) hatte an die Ausländerbehörden appelliert, solche Anträge wohlwollend zu prüfen.

Von Wohlwollen merkten die türkischen Migranten in Deutschland bislang allerdings nichts, so Keltek. „Wir haben es satt, ständig von der Politik instrumentalisiert zu werden“, sagt er. Wieder einmal habe die CDU-Opposition die Regierung unter Druck gesetzt, findet Keltek, einziger Direktkandidat der SPD mit Migrationshintergrund bei der Wahl im Mai. „Die CDU geht immer davon aus, dass alle eingebürgerten Türken SPD wählen.“

Die Stimmabgabe „illegaler Wähler“ kann nur bei einem knappen Wahlausgang Folgen haben. Der Nachweis, dass Doppelpass-Besitzer abgestimmt haben, reicht für eine erfolgreiche Wahlanfechtung nicht aus. Vielmehr darf nicht ausgeschlossen sein, „dass ohne die Abgabe dieser Stimmen die Mandate im Landtag anders verteilt worden wären“, heißt im Wahlgesetz. Das Problem mit dem rechtswidrigen Doppelpass hat möglicherweise jedoch eine weitere Konsequenz: Laut einer aktuellen Studie des Essener Zentrums für Türkeistudien bekundet etwa ein Drittel der in NRW lebenden Türken Interesse an der deutschen Staatsbürgerschaft. Während die Landessozialministerin als Auftraggeberin der Befragung dies als ein Zeichen von Integrationsbereitschaft deutet, empfindet Keltek diese Zahl als Armutszeugnis. „Es könnten 90 Prozent sein, wenn die doppelte Staatsangehörigkeit möglich wäre“, sagt er. Er plädiert daher dafür, das Staatsangehörigkeitsrecht noch einmal zu überdenken. „Bei den meisten EU-Bürgern ist Mehrstaatigkeit erlaubt, dann muss es auch für die Türken möglich sein.“