Unsicherheit in der ethischen Grauzone

Lasst die Kranken leben – wie „der Fall“ der verstorbenen Komapatientin Terri Schiavo Angehörige von Bremer Wachkoma-PatientInnen in Friedehorst berührt, zeigen am Sonntag in der ARD zwei Radio-Bremer FilmemacherInnen

bremen taz ■ 40 Menschen aus dem Weser-Ems-Raum werden im Bremer Rehabilitationszentrum Friedehorst auf der Station für WachkomapatientInnen gepflegt. Sie und ihre Angehörigen haben die Bremer FilmemacherInnen Rainer Kahrs und Marianne Strauch diese Woche besucht und eine Botschaft mitgenommen: Pflegt die Schwerstkranken bis zum Tod. Lasst sie nicht vorschnell sterben. „Niemand hat uns etwas anderes gesagt“, berichtet Rainer Kahrs. Und so heißt die Station, auf der zurzeit 15 WachkomapatientInnen leben, „Via Vita“, Lebensweg. „Denn wir sind buchstäblich nur eine Station im Leben dieser Menschen“, erklärt der Theologe und Leiter der Einrichtung, Georg-Hinrich Hammer. Tatsächlich erlebt er seit der Gründung der Station vor acht Jahren alle zwei Jahre einen Wachkomapatienten, der wieder aufwacht.

Einer von ihnen, ein 35-jähriger Landwirt, der nach einer Gehirnblutung neun Monate lang ins Koma fiel und wieder zurück kehrte, sprach jetzt mit dem Filmteam. „Er hat leidenschaftlich dafür plädiert, die Menschen am Leben zu erhalten“, sagt Kahrs. Das haben auch die Angehörigen des kleinen Janek getan. „Janek – ein Wachkomakind“ heißt der Film*, der erst in dieser Woche gedreht wurde. Anlass sind das Leiden und der Tod Terri Schiavos – die viele Menschen aufgeschreckt haben.

„Bei uns ins Deutschland könnte das nicht passieren“, sagt zwar Klinikleiter Hammer. „Wir würden einen Menschen nicht verhungern lassen.“ Genau das ist aus seiner Sicht in den USA geschehen. „Und dabei halte ich Terri Schiavo nicht einmal für einen der schwersten Fälle unter den Wachkoma-Patienten“, schließt er aus Medienberichten und Bildern, die den Anschein erwecken, als lächele die Patientin. Auch könne die Frau, die 15 Jahre lang im Koma lag, offenbar den Kopf kontrollieren, erklärt Hammer. Ihre Unterbringung in einem Hospiz für Sterbende sei zudem nicht angemessen. „Wir mobilisieren unsere Patienten“, sagt er. Dazu gehöre, dass sie sitzen und auf verschiedenste Weise medizinisch und therapeutisch behandelt werden.

„Öffentliche Aufmerksamkeit schärft das Bewusstsein für die Situation dieser Patienten“, begrüßt Hammer den Film. Das helfe auch bei den Verhandlungen etwa über Pflegesätze mit den Kassen. Berichte – auch über das Schicksal Terri Schiavos – bewirkten zugleich, dass die Menschen sich damit auseinander setzen, selbst betroffen sein zu können – direkt oder als Angehörige. Und jede Vorinformation erleichtere die Zusammenarbeit zwischen Klinik und Angehörigen.

Für das Filmteam waren die Dreharbeiten hart. Schon um vier Uhr früh begann für sie der Tag – um die Pflege zu dokumentieren, aber auch die Hoffnung, mit der viele Angehörigen ihre Kranken jeden Tag begleiten. „Es ist erschütternd und auch schwer auszuhalten“, sagte Kahrs nach dem Drehtag in der Klinik. „Aber man bewundert die Angehörigen auch.“ Dem Team sei es darum gegangen, die Unsicherheiten in diesem „ethischen und intellektuellen Grauzonenbereich“ aufzuzeigen – und welchen Umgang die Menschen wählen, die dieser Situation am stärksten ausgesetzt sind. Ein Thema lässt der Film dabei weitgehend aus: Die Frage, wo eine lebenserhaltende Behandlung in der Akutphase auf der Intensivstation aufhören darf – wodurch mancher Komapatient dann allerdings nie nach Friedehorst käme. ede

*ARD, Sonntag 3. April 17.30-18.00 Uhr