Wenn Hahnemann das alles wüsste

Bei der Selbstbehandlung mit homöopathischen Mitteln bleiben die Prinzipien der klassischen Homöopathie zunehmend auf der Strecke

VON EDITH WINNER

„Was der alles wissen wollte!“ Claudia Sellner* schüttelt den Kopf, wenn sie an das erste Gespräch mit ihrem Homöopathen zurückdenkt. „Sind Sie Warm- oder Kaltschläfer? Haben Sie im Dunkeln Angst? Wie reagieren Sie auf Wetterumschwünge?“

Was Homöopathie ist, glaubte Sellner zu wissen, als sie mit einer Neurodermitis, die schulmedizinisch nicht zu kurieren war, einen Homöopathen aufsuchte. Schließlich nahm sie bei jeder Erkältung homöopathische Tropfen und hatte schon mal bei einer Magenverstimmung ein paar homöopathische Kügelchen fachgerecht auf der Zunge zergehen lassen. Die Erfahrung ihrer ersten professionellen homöopathischen Behandlung belehrte sie eines Besseren: „Es war verblüffend, was für heftige Reaktionen homöopathische Mittel im Körper auslösen können.“

Homöopathie ist in. Mehr als 70 Prozent der Bundesbürger schätzen homöopathische Arzneimittel, drei von vier Medizinern verschreiben sie, die Zahl der Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung ist in den vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent gestiegen, so die Bilanz des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Dass sich die Wirksamkeit homöopathischer Arzneien in wissenschaftlichen Tests nicht nachweisen lässt, stört die Patienten kaum. Schließlich erleben viele den Erfolg einer Behandlung. Denn: Während die in der klinischen Forschung üblichen Doppelblindstudien darauf abzielen, die Wirksamkeit ein und desselben Mittels bei hunderten von Patienten nachzuweisen, heilt die Homöopathie mit individuellen Medikamenten: Jedem Kranken seine persönliche Arznei.

Die wachsende Beliebtheit der Homöopathie geht mit einer Aufweichung ihrer Prinzipien einher, die manche Vertreter der klassischen Homöopathie mit Skepsis sehen. Nach Schätzungen des Herstellers Deutsche Homöopathie-Union (DHU) werden 80 Prozent der homöopathischen Mittel auf eigene Faust genommen. Immer mehr Pharmafirmen bringen so genannte Komplexmittel aus homöopathischen Einzelsubstanzen auf den Markt. An die 2.500 Bücher zum Thema sind im Handel, von denen ein großer Teil „mit Vorsicht zu genießen ist“, urteilt Christoph Trapp, Pressesprecher des DZVhÄ.

Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, hätten angesichts dieser Entwicklung vermutlich die Haare zu Berge gestanden – beruht seine Lehre doch auf wenigen, einfachen, aber daher umso bedeutenderen Säulen: der Ganzheitlichkeit, der Ähnlichkeit und dem dynamischen Prinzip. In die Praxis übersetzt: Der Homöopath studiert das Gesamtbild der Krankheit und des Patienten als Person. Dann fahndet er nach einem mineralischen, pflanzlichen oder tierischen Einzelstoff, der bei einem Gesunden ähnliche Symptome hervorrufen kann. Diese Substanz verabreicht er schließlich dem Patienten in extrem verdünnter, durch Verreiben und Schütteln „dynamisierter“ Form als Arznei.

„Es ist ein Vorurteil, dass homöopathische Mittel nicht schaden können“, sagt Hans Zwemke, homöopathischer Arzt aus Berlin-Schöneberg, und seit 16 Jahren als Ausbilder tätig. „Wenn Laien sich selbst behandeln, können unter Umständen heftige Arzneireaktionen ausgelöst werden, die nicht immer einfach zu beherrschen sind. Gegen die einmalige Einnahme einer Einzelsubstanz aus einer homöopathischen Notfallapotheke ist nichts einzuwenden, wenn man ihre Indikationen kennt. Aber die Komplexmittel sind nur zufällig erfolgreich, denn sie sind als Arzneimischungen nicht ausreichend auf ihre Wirkungen geprüft.“ Der Kern des homöopathischen Heilverfahrens sei die Suche nach dem exakt auf den Patienten und seine Erkrankung abgestimmten Mittel – wenn sie gelinge, ließen sich enorm viele, auch schwerste Krankheiten erfolgreich homöopathisch behandeln.

„Bei mir hat es drei Anläufe gebraucht“, erzählt Claudia Sellner. Ein halbes Jahr dauerte ihre Behandlung. Das dritte Mittel, das der Arzt ihr gab, brachte den Erfolg. Nach dem „Erstgespräch“ musste sie alle vier bis sechs Wochen genau Bericht darüber erstatten, welche körperlichen und psychischen Vorgänge sie an sich beobachtet hatte. „Da sind skurrile Dinge passiert, zum Beispiel war ein paar Tage meine Wange angeschwollen, obwohl ich die Neurodermitis nie im Gesicht hatte.“ Auch die berüchtigte Erstverschlimmerung hat sie kennen gelernt – für den Arzt ein Zeichen dafür, dass die richtige Arznei gefunden ist. „Streckenweise war es eine Achterbahnfahrt, aber am Ende bin ich die Neurodermitis losgeworden. Mehr noch: Meine Abwehr ist stärker geworden, ich fühle mich insgesamt gesünder.“

* Name v. d. Redaktion geändert

Einen Ratgeber und Hilfe bei der Suche nach einem homöopathischen Arzt bietet der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte auf seiner Website: www.dzvhae.de. Ist ein Homöopath der richtige für mich? Tipps, worauf Patienten achten sollten, unter: www.patienteninfo-berlin.de