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Die Rentner regeln das schon

Ältere Menschen helfen Schülern, Konflikte zu bewältigen. In 13 Berliner Schulen sind inzwischen die „Seniorpartner in School“ vertreten. Sie moderieren bei kleinen Streitigkeiten, Liebeskummer, aber auch bei schweren Fällen von Mobbing

VON JUTTA BLUME

„Alte Menschen sind in der Vorstellung mancher Kinder nur noch dahinsiechende Heimbewohner“, erzählt Christiane Richter. Mit ihrem Verein „Seniorpartner in School“ (SiS) zeigt sie, dass auch Menschen im dritten Lebensalter in der Lage sind, gesellschaftliche Aufgaben zu übernehmen. Seit 2001 bietet der Verein die Betreuung von Schulen durch ehrenamtliche „Seniorpartner“ an.

Die Rentnerinnen und Rentner stehen den Schülerinnen und Schülern als Ansprechpartner bei Konflikten zur Verfügung. An 13 Berliner Schulen sind die Konfliktberater inzwischen mit eigenen Büros und festen Sprechzeiten vertreten. Die Seniorpartner plaudern aber nicht einfach aus dem Nähkästchen ihrer Lebenserfahrung. Bevor sie ihren Dienst an den Schulen leisten, durchlaufen sie eine Mediationsausbildung. Später wird ihre Tätigkeit von regelmäßiger Supervision begleitet. Die Einführungsphase an den Schulen gestaltet sich in der Regel am schwierigsten, da Lehrer und Schüler das neue Angebot erst zur Kenntnis nehmen müssen. Nach einem erfolgreich gelösten Konflikt nehmen die Kinder die Hilfe der Seniorpartner meistens gerne in Anspruch.

Die Probleme mögen aus Erwachsenensicht manchmal banal klingen, etwa: „Der nimmt mir immer meinen Radiergummi weg.“ Bei den Älteren geht es öfter um Krach in Freundschaften und unglückliche Liebeleien. Für die Lernenden ist es wichtig, auch kleine Probleme zu lösen. „Nur wenn der Kopf frei von Konflikten ist, lässt es sich richtig lernen“, erklärt die Vereinsgründerin und -vorsitzende Christiane Richter. Es kann aber auch richtig hart zur Sache gehen, und das schon bei den Jüngsten. So wurden die Seniorpartner auch in Grundschulen schon bei schweren Fällen von Mobbing zu Rate gezogen. Dann gelte es, Kontakt zu dem gemobbten Kind herzustellen und gleichzeitig mit der Klasse in kleinen Gruppen über das Problem zu sprechen. Einen besonderen Hang zur Gewalttätigkeit kann Christiane Richter der Jugend nicht bescheinigen. „Die Seniorpartner haben bei ihrer Arbeit gelernt, dass Schüler längst nicht so aggressiv sind, wie sie in der Presse erscheinen.“

Nach der Gründung von Seniorpartner in School erprobten Christiane Richter und ihre Vereinskolleginnen ihre Idee modellhaft an der Friedrich-Bayer- Oberschule und der Werner-Stephan-Oberschule – mit Erfolg. Die Mediatoren sind dort weiterhin ansässig und haben inzwischen auch die Hausaufgabenbetreuung übernommen. SiS arbeitet heute an allen Schulformen von der Grundschule bis zum Oberstufenzentrum. Die sechste Gruppe von Neumitgliedern absolviert derzeit ihre Mediationsausbildung. Anders als Oma oder Opa kann Mediator aber nicht jeder werden. „Die Senior Partners durchlaufen ein immer strengeres Auswahlverfahren. Wenn jemand nur negative Erfahrungen in der Schule hatte und nicht aufarbeiten konnte, ist er für diese Arbeit ungeeignet“, sagt Richter. Meistens melden sich Bildungsbürgerinnen zwischen Mitte 50 und Mitte 60 bei SiS. Männer trauen sich erst zögerlich in den Verein. „Ehrenamt ist weiblich“, so Richters knapper Kommentar.

Gerne würde Christiane Richter die Arbeit von SiS auf andere Bundesländer ausweiten. Allein, dazu fehlen ihr die finanziellen Mittel. Bisher finanziert sich der Verein durch Mitgliedsbeiträge sowie zweckgebundene Zuwendungen von Stiftungen. Eine öffentliche Förderung hat es in den bisherigen vier Jahren nicht gegeben. Um die Idee in anderen Ländern bekannt zu machen, wäre zunächst eine Multiplikatorenschulung notwendig. Der einzige Standort außerhalb Berlins ist bisher Potsdam, wo im April eine Mediationsausbildung beginnt und im neuen Schuljahr zwei Schulen Senioren zur Seite gestellt bekommen. Auch in anderen europäischen Ländern hat Richter schon für ihr Konzept geworben. Bald wird es auch in Ungarn erste Projekte geben.

SiS ist nicht allein ein Hilfsangebot für Streithähne an Schulen. Ein ganz zentraler Aspekt ist, den gerade aus dem Berufsleben Ausgeschiedenen eine neue Lebensaufgabe zu geben und auch im Alter neues Wissen zu vermitteln. Und vielleicht gibt es einen kleinen Nebeneffekt: „Die meisten unserer Senioren sehen jünger aus, als sie sind“, verrät die 69-jährige Vereinsvorsitzende.

SiS hat noch Plätze für die Mediationsausbildung in Potsdam frei. Weitere Infos: Telefon (030) 62 72 80 49, www.seniorpartnerinschool.de

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