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Archiv-Artikel

„Entschleunigt die Flugzeuge“,sagt Karl Otto Schallaböck

Der Verkehrsexperte will verhindern, dass Fliegen so verfügbar und alltäglich wird wie das Schnitzel zum Mittag

taz: Die Lufthansa ist seit 50 Jahren wieder in Betrieb. Gratulieren Sie?

Karl Otto Schallaböck: Ja.

Aber sie hat an Exklusivität eingebüßt. Fast wöchentlich eröffnet eine Billig-Airline eine neue Strecke. Wann kosten die Tickets nichts mehr?

Die irische Airline Ryanair wirbt schon heute offensiv, dass nichts wertloser ist als ein leerer Platz im Flugzeug. Dann verschenken sie die Tickets. Für alle wird das aber nie machbar sein.

Mal nach Barcelona, mal nach Amsterdam – ausgerechnet vermeintlich Umweltbewusste wie die Grünen fliegen viel. Gehört sich das?

Sind wir ehrlich, jeder von uns ist in Versuchung, wenn Fliegen so einfach, günstig und nett ist. Aber das macht viel aus, weil bisher jeder Deutsche nur eine halbe Flugreise im Jahr macht. Viele nehmen an, dass heute schon jeder fliegt. Das stimmt nicht. Dramatisch wird das Problem, wenn es normal wird, dreimal im Jahr zu fliegen.

Wie viel schlimmer ist Fliegen im Vergleich zum Autofahren?

Es käme doch keiner auf die Idee, mit dem Auto nach Hongkong zu fahren. Mit dem Flugzeug werden also ganz andere Distanzen zurückgelegt, die absolute Belastung ist viel größer. Wir unterschätzen das gern, weil wir einen Schulatlas im Kopf haben, in dem Bayern genau so groß ist wie Amerika. Außerdem wirken Schadstoffe, etwa die Stickoxide, in der Höhe viel schädlicher. Deshalb trägt ein Liter Kerosin zwei bis viermal so viel zum Treibhauseffekt bei wie der Autokraftstoff.

Wer keine lange Schiffspassage in Kauf nehmen will, muss ins Flugzeug steigen. Was schlagen Sie vor?

Meistens geht es um privaten Spaß. Geschäftsreisen sind viel seltener. Bisher sind den einen die Folgen wurscht, die anderen reden schon die Katastrophe herbei. Die Wahrheit liegt in der Mitte. Für bestimmte Zwecke hat Fliegen Vorteile.

Zu einer Konferenz jetten ist okay, ins Museum aber nicht?

So einfach ist es nicht. Fliegen ist fantastisch, nur haben wir das Maß verloren. Das wäre, als äßen wir vier Schnitzel zu Mittag. Nur beim Essen merken wir den Schaden sofort, beim Fliegen spüren ihn erst unsere Kinder. Geschäftsreisen könnten auch durch Telefonkonferenzen ersetzt werden. Doch im Gegenteil regt die virtuelle Kommunikation das Reisen zumeist noch an. Jeder hat plötzlich sein globales Netzwerk.

Ist der Frachtverkehr beim Fliegen nicht erheblicher?

Keineswegs, er macht allenfalls ein Viertel der Belastungen aus. Post, Maschinenteile, Lebensmittel – was da per Luftfracht bewegt wird, ist von der Menge her im Vergleich zu Transporten per Laster, Eisenbahn oder Schiff fast zu vernachlässigen. Dafür sind die Umweltbelastungen umso größer.

Wie ist Ihre Vision vom Fliegen, lässt sich an der Technik etwas ändern?

In 50 Jahren werden die Flugzeuge sicher nicht viel anders aussehen. Wer heute vom Drei-Liter-Flugzeug spricht, spekuliert auf ein Missverständnis. Denn es geht um den Verbrauch pro hundert Kilometer und Sitzplatz. Das entspricht in Wahrheit einem 15-Liter-Auto – ein fürchterlich hoher Wert. In jedem Fall sind aber große Maschinen, die gut besetzt sind, besser als kleine mit freien Plätzen.

Was kann die Politik machen?

Sie sollte die staatliche Förderung schrittweise zurückfahren, endlich eine Steuer auf Flugbenzin einführen. Außerdem haben wir auf vielen regionalen Flughäfen immer noch große Kapazitäten. Trotzdem soll an anderen Stellen ausgebaut werden. Das sind Hirngespinste – zumal der Druck dann größer wird, noch mehr Flugverkehr anzuziehen.

Das sind bekannte Forderungen, die die Regierung nur halbherzig verfolgt. Gibt es neue Ideen?

Zumindest eine Denkübung: Wir wissen, dass wir unseren Aktionsraum erhöhen, wenn es schneller geht. Wir sparen nicht die Zeit. Der übertriebene Erfolg des Flugzeugs liegt an seiner Geschwindigkeit. Mindern wir sie, wird Fliegen weniger attraktiv.

Sie fordern ein Tempolimit?

Es geht nur darum, eine Diskussion anzuregen. Stellen sie sich vor, das Flugzeug ist mit 400 Kilometern pro Stunde unterwegs, die Eisenbahn mit 200, das Auto mit 100. Dann macht man den Vorteil des Fliegens nicht kaputt, aber entschleunigt.

Das ist doch utopisch.

Tatsächlich müssten die Flugzeuge dafür anders konstruiert werden. Die gegenwärtigen Düsenflugzeugen sind auf das doppelte Tempo ausgelegt.

Zeit ist ein Faktor, der Preis ein anderer. Wie teuer müsste ein Ticket von Frankfurt nach New York sein?

Seriös gerechnet sollte der Sprit fünfmal so viel kosten wie jetzt. Das entspräche einem Aufschlag von bis zu 40 Prozent auf jedes Flugticket. Es wäre dann nicht unerschwinglich. Aber aus Jux und Tollerei würde keiner mehr zum Musical nach New York fliegen.

INTERVIEW: HANNAH GERSMANN