Brasiliens Botschafter

LEGENDE Fünf Jahre lang war er Brasiliens Minister für Kultur. Jetzt widmet sich Gilberto Gil wieder ganz seiner Musik

Ende der 80er wurde der politische Sänger mehr und mehr zum singenden Politiker

VON ROBERT MATTHIES

Eine ganze Dekade ist vergangen, seit Gilberto Gil das letzte Mal auf einer Hamburger Bühne stand. Zehn besonders ereignisreiche Jahre im ohnehin ereignisreichen Leben des heute 67-jährigen Brasilianers. Bereits in den 60ern hatte der in der Industriestadt Salvador geborene Songwriter, Sänger und Gitarrist neben Caetano Veloso als Vorreiter der Música Popular Brasileira und der Tropicalismo-Bewegung die brasilianische Musiklandschaft revolutioniert. Gil interpretierte den Bossa Nova auf radikal neue Weise, verband die brasilianische Musik mit internationalem Rock und Pop – und kritisierte zugleich die Zustände im damaligen, von der Militärdiktatur beherrschten Brasilien scharf. Der Regierung waren Veloso und Gil ein Dorn im Auge, die Bewegung wurde brutal unterdrückt, die Protagonisten verhaftet und des Landes verwiesen. Knapp drei Jahre lebte Gil in London, erst 1972 kehrte er wieder nach Bahia zurück.

Musikalisch sorgte er nach seiner Rückkehr vor allem mit zwei Album-Trilogien für Aufsehen. Auf „Expresso 2222“, „Gil Jorge“ und „Os Doces Bárbaros“ verband Gil die Wurzeln der brasilianischen Musik konsequent mit dem Pop, die so genannte konzeptuelle Trilogie bestehend aus „Refazenda“, „Refavela“ und „Realce“ erforschte die Musik des ländlichen Brasiliens, die afrikanischen Wurzeln der brasilianischen Musik und integrierte schließlich Pop und Disco.

Ende der 80er dann wurde der politische Sänger mehr und mehr zum singenden Politiker und Umweltaktivisten, kämpfte als Kulturbeauftragter der Stadt Salvador für die Erhaltung des historischen Erbes der Stadt und gründete die Umweltorganisation Onda Azul (Blaue Welle), die den Schutz der brasilianischen Gewässer zum Ziel hatte. 2003 schließlich ernannte der neue brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva den Grünen-Politiker zum brasilianischen Minister für Kultur.

Als oberster Kulturpolitiker des Landes setzte sich Gil in den kommenden fünf Jahren vor allem allem für Open-Source-Projekte ein. Er begann eine Partnerschaft mit der Lizenz-Organisation Creative Commons und erleichterte mit dem Culture Points-Programm Jugendlichen in armen Vierteln den Zugang zu musikalischer Technologie und Ausbildung. Auf dem Programm stand auch ein Internet-Archiv für brasilianische Musik – die jedermann hätte frei herunterladen können.

Im November 2007 bat Gil Präsident Lula jedoch nach wachsender Kritik an einer Verquickung von politischer Arbeit und wirtschaftlichen Kontakten offziell wegen Polypen an den Stimmbändern, ihn als Minister zu entlassen. Als eigentlichen Grund gibt Gil selbst die Unvereinbarkeit von Ministeramt und Musikerkarriere an. Zwei weitere Male musste er seiner Bitte Nachdruck verleihen, bis dem Wunsch des für unabkömmlich gehaltenen Kulturministers im Juli letzten Jahres stattgegeben wurde. Seitdem ist Gilberto Gil wieder mit jeder Zelle seines Körpers Künstler.

Am Montag steht der passionierte Marihuana-Raucher und Yoga-Fan, für den Reggae im Übrigen eine „heideggerianische Form, fundamentale Nachrichten zu übermitteln“ ist, nun im Rahmen seiner „Here and Now“-Tour auch wieder für ein außergewöhnliches Konzert auf der Bühne in der Fabrik. Denn im Gepäck hat Gilberto Gil wie beim letzten Mal nicht nur sein aktuelles Album, diesmal das wieder mehr am Bossa Nova orientierte „Banda Larga Cordel“. Sondern die ganze aufregende Musikgeschichte seines Landes.

■ Mo, 20. 7., 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36