Nach den Wurzeln sehen

THEATER Patrick Schimanski inszeniert für das Theaterlabor „Germania – Tod in Berlin“ des Dramatikers Heiner Müller – eine Collage aus 2000 Jahren deutscher Geschichte

VON JAN ZIER

Die ehrwürdige Zeit beschrieb es einst als „sozialistisches Rührstück“. Und manchen galt es bei seiner Uraufführung 1978 in den Münchner Kammerspielen gar als Loblied auf die DDR: Heiner Müllers „Germania – Tod in Berlin“, das am kommenden Freitag im Concordia Premiere hat, als Inszenierung von Patrick Schimanski im Theaterlabor.

Ein eher selten inszeniertes, ein durchaus schwieriges Stück – in einem Ensemble, das nur sechs Monate zusammen bleibt, samt und sonders aus Theaterschaffenden ohne festes Engagement besteht. Also in erster Linie eine Qualifizierungsmaßnahme ist. Andererseits hat Schimanski schon im vergangenen Jahr mit Reinald Götz‘ „Jeff Koons“ eine Vorliebe für eher amorphe Texte bewiesen. Ebenfalls 2008 wurde unter seiner Regie im Theaterlabor Ernst Tollers „Masse Mensch“ inszeniert, ein mittlerweile auch nur selten gespieltes Revolutionsdrama, das Toller nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik in Festungshaft schrieb.

Schimanskis neueste Arbeit fügt sich in diesem Zusammenhang ein. 13 Einzelszenen hat Müller in „Germania – Tod in Berlin“ assoziativ aneinander gefügt, sie umfassen gut 2000 Jahre deutsche Geschichte ohne diese prozesshaft oder gar chronologisch abzubilden. Müllers Werk entzieht sich dabei schon rein formal der eindeutigen Zuordnung. Ein Drama nennen es die einen, doch fehlt es an der inhaltlichen Struktur, an der klaren Linie – also vielleicht post-dramatisch? Auf jeden Fall eine Collage. Aus „in sich zerrissenen“ und „hart aneinander stoßenden Bildfetzen“, wie die Zeit zur Uraufführung schrieb.

Die erste Szene spielt im Jahr 1918/19, in der Niederlage der Novemberrevolution in Berlin. Die zweite thematisiert die Gründung der DDR, die deutsche Teilung im Jahr 1949. Und die dritte springt sodann zurück zu Preußen unter Friedrich „dem Großen“. Und so weiter. Sechs Szenen spielen allein in der DDR, darunter die letzte – das Stück endet mit dem 17. Juni 1953, dem so genannten Arbeiteraufstand. Dazwischen steht dann noch der Zweite Weltkrieg und eine Referenz an die Auseinandersetzungen zwischen Germanen und Römern sowie ein Berlin-Gedicht des expressionistischen Lyrikers Georg Heym (1887-1912).

Für Schimanski ist das Stück durchaus kein Loblied auf die DDR, geschweige denn auf den Sozialismus, ja, noch nicht einmal ein an und für sich systemkritisches Werk. Um dies zu unterstreichen, hat er Schlager aus der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders in seine Inszenierung eingebaut. Für ihn zeigt das Werk vor allem das Scheitern generell aller revolutionären Aufstände in der deutschen Geschichte. Es sei deshalb ein ideales „Jubiläumsstück“, findet er, passend zum 60-jährigen Bestehen der Bundesrepublik, zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls. Die Uraufführung übrigens stand noch im Zeichen eines anderen Jubiläums: des 89. Geburtstages von Adolf Hitler.

Müller selbst – 1929 geboren, zum Ende des Zweiten Weltkrieges noch zum „Volkssturm“ einberufen und 1947 schon Mitglied des SED – sah in seinem Stück die „Hoffnung“ auf eine Welt, in der ebensolche Texte „nicht mehr geschrieben werden können, weil die Wirklichkeit das Material dafür nicht bereithält“. Begonnen hat er ihn 1956, als sich die Sowjetunion unter Chruschtschow gerade von Stalins Erbe emanzipierte. Beendet wurde er erst 1971, als Erich Honecker an die Spitze der SED rückte. Und der Dramatiker und Regisseur selbst schon ins Fadenkreuz der DDR-Oberen geraten war. In der DDR war „die Stagnation in diesen Jahren absolut“, sagt er später. „Wenn du siehst, dass der Baum keine Äpfel mehr trägt, siehst du nach den Wurzeln.“

24. und 25. Juli, 29. Juli bis 2. August sowie 4. und 6. August, jeweils um 20 Uhr. Letztmalig läuft das Stück am 7. August um 15 Uhr