Im Kern ist alles debil

In Bochum inszeniert Martin Höfermann Lukas Bärfuss` Stück über geistig behinderte Menschen. Mit Hilfe des Bühnenbildners gelingt ihm eine interessante Deutung des ziemlich durchsichtigen Textes

VON PETER ORTMANN

Unsere Welt ist nicht fabelhaft. Auch wenn die globalisierte Oberflächlichkeit genau dies vorgaukeln will. Als der Vorhang in den Bochumer Kammerspielen hoch geht, herrscht einige Sekunden sprachloses Staunen, dann bekommt das Pflanzenmeer von Bühnenbildner Volker Hintermeier spontan Beifall. Ein natürlicher Reflex auf superbunte Bildchen auf allen Kanälen, bei hintergründigen Bochumer Bühnenvisionen in Todesvariationen (Bühne: Karl-Ernst Herrmann) oder Peer Gynt (Bühne: Johannes Schütz) käme kein Zuschauer auf die Idee, bereits vorher zu klatschen. Doch bei der Inszenierung von „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ ist es die erste selbst entlarvende Tat.

Im Zauberwald von Helena und Oberon, der dankbarerweise so gar nichts mit Realität zu tun hat, gehen wunderbare Dinge vor. „Keine Pillen mehr, nie mehr Pillen“ schreit die Mutter dem neuen Arzt (ein toller Fritz Schediwy) entgegen. Ihre geistig etwas langsame Tochter Dora soll ohne Psychopharmaka ins Leben geholt werden. Das klappt, doch was folgt zwingt die Frage auf, ob das tatsächlich erstrebenswert ist. Dora (auch hervorragend besetzt mit Angelika Richter) wird zu einer strahlenden Fee in einer geistig behinderten Umwelt, die immer glaubt das Gute zu wollen, doch permanent das Böse schafft. Tana Schanzara als „Mutter des Chefs“ (und endlich mal wieder nicht als Klatschmarsch-Garantin) ist ihr ebenfalls feenhafte „Alter“ Ego im Realkapitalismus. „Haben wir Kundschaft?“ ruft Tana, die nicht einsehen will, dass der Gemüsehandel nicht mehr floriert. Doch der globale Karfiol-Trust hat selbst im Sommernachtstraum die Kleinen geschluckt. Nur Topinambur hat vielleicht noch etwas Zukunft.

Lukas Bärfuss benutzt Sex für seine Matrix einer verlorenen Gesellschaft, in der die Liebe keinen Platz mehr hat und die scheinbar guten Taten nur dem Eigennutz dienen. Dora entdeckt den Spaß am „Ficken“, wird schwanger, treibt ab, will noch einmal ein Kind vom Parfümvertreter, der eigentlich Sadist ist und sie verprügelt. Alle Bezugspersonen heucheln für ihren zielgerichteten Umgang mit Gefühlen Verständnis, lenken so von der eigenen Verderbtheit ab. Denn sie sind die Fremdkörper im virtuellen Zauberwald, so wie wir es alle wären. Am Schluss steht Dora am Rand des Pflanzenmeeres und wartet auf den Zug in die kalte Realität. Eigentlich ist es schön, dass er niemals kommt. Wenn nur die vielen Normalmenschen im Dschungel verschwinden würden.

Nächste Vorstellung: 7. April, 19:30 UhrKarten: 0234-3333111