Ring frei für Peter Harry

Über sechs Runden geht ab morgen der Boxkampf der künftigen Koalitionäre in Kiel. Bereits jetzt werden Wetten auf den Ausgang abgeschlossen. Wer wird gewinnen? Wer verlieren? Gibt es blutige Nasen? Eine Prognose

Die Vorgeplänkel im „Hochzeitszimmer“ eines historischen Gasthofes sind beendet, nun treten sie ernsthaft zu Koalitionsgesprächen an. In der roten Ecke von schräg links: Claaaauuuus Möller!, Landeschef der SPD. In der schwarzen Ecke von frontal rechts: Peter Haaaarry Carstensen!, der CDU-Vorsitzende und künftige Ministerpräsident. Carstensen tritt mit der üblichen guten Laune in den Ring – er hat gegen den Vertreter der hart angeschlagen Nord-Sozen beste Chancen zu punkten und braucht nicht unter die Gürtellinie zu zielen. Sollte es doch schwierig werden, können die Kontrahenten auf Plattdeutsch weiterverhandeln – da klingt vieles freundlicher. Der Kampf geht über sechs Runden:

■ 1: Schule

Das zum Mega-Aufreger des Wahlkampfes hochgeblasene Thema dürfte weit oben auf der Agenda stehen. Aber da nicht auf offener Bühne, sondern im kleinen Kreis verhandelt wird, werden sich beide Seiten schnell einigen – das war in den vergangenen Tagen deutlich angedeutet worden. Zwar will die CDU das dreigliedrige System behalten und die SPD eine Gemeinschaftsschule einführen, was nicht zusammenpasst. Aber: Schon in den Verhandlungen mit Grünen und SSW hatte die SPD das Tempo gedrosselt. Denn die Genossen wollen sich auf die demografische Entwicklung verlassen. Die lässt Schülerzahlen schrumpfen und zwingt kleinere Städte, ihre Schulen zu schließen oder zusammenzulegen. Dagegen kann auch die CDU nichts machen. Es wird also gemeinsame Schulen geben – neben den traditionellen und mit schlechterem Konzept.

Wertung: Technisches KO für die Grünen und den SSW, die etwas anderes wollten, aber nicht mit am Tisch sitzen

■ 2: Steuerreform

Heide Simonis und ihre Nord-SPD hatten ein eigenes Steuermodell ausgeklügelt, das sich am skandinavischen Vorbild orientiert und die Lohnnebenkosten senken sollte. Nach einem Wahlsieg hätte Simonis versucht, die Bundespartei zu überzeugen – unter anderem das skeptische Parteimitglied Gerhard Schröder. Die CDU hat andere Vorstellungen, das Modell dürfte gegessen sein.

Wertung: Nach kurzem Geplänkel ein Rückzug der Roten, der Gesichtsverlust dürfte sich angesichts der Gesamtbilanz in Grenzen halten

■ 3: Umwelt

Peter Harry Carstensen zu unterstellen, er sei ein Naturfeind, wäre falsch: Der Mann stammt vom Lande, er hat sich vor Jahrzehnten bereits für Windräder eingesetzt. Aber die Prioritäten sind klar: Menschen gehen vor Piepmätzen. Das sehen einige Sozis sicher ähnlich – in der bisherigen Koalition waren die Grünen für Umweltschutz zuständig. Die CDU wird laut ihrem Wahlprogramm die bisherige „überbordende Planungshysterie“ einschränken und auf mehr „Freiwilligkeit“ setzen wollen. Aber: Sowohl das geplante Vogelschutzgebiet in Eiderstedt als auch die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie sind EU-Projekte, gegen die eine Landesregierung wenig unternehmen kann. Diese Dinge werden kommen, allerdings langsamer als unter Rot-Grün.

Wertung: Niederlage für Kiebitz und Konsorten

■ 4: Innenpolitik

Ihre Forderungen nach Videoüberwachung, DNA-Analysen und vielen schönen Dingen mehr hätte die CDU selbst gegen die FDP nicht durchbekommen, erst recht nicht gegen die SPD. Es fehlt auch Geld für diese Maßnahmen. Der Wind mag unter Schwarz-Rot schärfer wehen, ganz unerträglich wird es wohl nicht werden.

Wertung: Blaues Auge für Schleswig-Holstein

■ 5: Strukturreform

Kreise zusammenlegen, Gemeinden entmachten – damit verprellen beide große Parteien ihr eigenes Klientel. Bei den Verhandlungen mit Grünen und SSW konnte die SPD immer noch sagen, sie sei von den Kleinen gezwungen worden. Jetzt müssen sich die Großen gegenseitig die Schuld zuschieben. Denn die Reform wird kommen – um Verwaltungskosten zu sparen. Vermutlich wird es auf „freiwillige Zusammenschlüsse mit zeitlichem Limit“ hinauslaufen.

Wertung: Ein Scheingefecht, in dem beide Seiten Prestige verlieren

■ 6: Studiengebühren

„Gebührenfreiheit für das Erststudium“, sagt die SPD – „Studiengebühren sind alternativlos“, meint die CDU. Beide sagen allerdings, dass niemand aus finanziellen Gründen von der Hochschule ausgeschlossen werden dürfe. An dieser Frage wird die Koalition nicht scheitern: Beide Seiten werden sich auf einen Kompromiss einigen, etwa ein breites Angebot von Fördermitteln für bedürftige Studenten oder einen sehr niedrigen Gebührensatz.

Wertung: Rangelt sich zurecht

Esther Geißlinger