„Wir werden kein Event-Museum sein“

Gisela Jaacks, Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte, fürchtet die Tamm‘sche Konkurrenz nicht und profiliert derweil ihr Haus

Interview: Petra Schellen

Immer wieder brechen Diskussionen über die Neuordnung der Hamburger Museumslandschaft auf; neue Museen einerseits, stärkere Profilierung der bestehenden Häuser andererseits stehen auf der politischen Agenda. Ein Fokus richtet sich auf das Museum für Hamburgische Geschichte. Wir fragten Direktorin Gisela Jaacks nach Details.

taz hamburg: Wie werden Sie Ihr Haus angesichts des geplanten Meeres- und Schifffahrtsmuseums Tamm, dessen Exponate sich mit Ihren Beständen überschneiden, profilieren?

Gisela Jaacks: Wir werden den Raum „Hafen und Schifffahrt“ neu konzipieren und die Schifffahrt stärker mit Wirtschaft, Stadtentwicklung und deren sozialen Auswirkungen verzahnen. Außerdem soll ein Teil dieses Raumes dem Hamburger Brand gewidmet werden – allerdings nicht unter dem Aspekt der „Sensation“, sondern der Defizite, die dieses Ereignis offenbarte: in der Selbstverwaltung, aber auch in der Besiedlungsstruktur. Zugleich ist dies ein Link zur Auswanderung. Hier hat uns die Kulturbehörde aufgefordert, die Planung für die Auswandererhallen auf der Veddel zu ergänzen. Denn das Konzept für die Ballinstadt bezieht sich vor allem auf jene 30 Jahre, während derer von dort aus ausgewandert wurde. Die Auswanderung erstreckte sich aber über gut 400 Jahre und bedeutete auch Einwanderung. Hinzu kommt, dass auf der Veddel einige unangenehme Dinge nicht gezeigt werden: Wie ist Hamburg mit den Auswanderern und Zuwanderern umgegangen? Warum sind die Auswanderungshallen immer weiter von der Innenstadt und der Bevölkerung wegverlagert worden? Und schließlich: die Auswanderung nach 1933.

Wie viel Raum werden Sie dem Auswandererthema widmen?

600 Quadratmeter. Bislang haben wir 15 Quadratmeter mit einer Videosequenz bestückt.

All dies klingt nach einer Politisierung.

Ich würde es eher als kritische Betrachtung bezeichnen, die natürlich eine Stellungnahme impliziert. Wir wollen Fragen provozieren, die über das sentimentale „Ach, wie war früher alles schön“ hinausgehen und zu Überlegungen über Ursachen und deren künftige Vermeidbarkeit führen.

Werden Sie mit der Abteilung „Juden in Hamburg“ ähnlich verfahren?

Hier wird es eine Verknüpfung mit den Themen „Auswanderer“ und „Soziales“ geben. Unsere Ausstellung ist leider etwas dürftig, weil uns dreidimensionale Objekte fehlen und wir nicht nur Akten und Schriftstücke zeigen wollen. Wir würden die Abteilung gern ausdehnen und erarbeiten derzeit ein Konzept, um sie lebendiger zu gestalten.

Werden Sie auch die Abteilung „Kolonialgeschichte“ umgestalten, die sich derzeit nicht sonderlich kritisch präsentiert?

Dies wird sich künftig deutlich anders darstellen als jetzt, wo das Thema sehr friedlich und fröhlich angegangen wird. Diese vor 20 Jahren gestaltete Abteilung gehört dringend überholt.

Die Afrikaner-Holzpüppchen dort kommen ja recht folkloristisch daher ...

Diese Exponate werden wir entfernen. Solche Souvenirs spiegeln ausschließlich die Befindlichkeit derjenigen, die sie mitgebracht haben, und haben in einem Museum wie unserem nichts verloren.

Apropos Befindlichkeiten: Auch Privatiers wie Herr Tamm, dessen Sammlung zum Museum werden soll, frönen ihren Vorlieben. Wie beurteilen Sie die Qualität seiner Sammlung?

Er hat einige exquisite Stücke. Andererseits findet sich in einer so großen Sammlung natürlich immer auch Durchschnittsware, zumal er ja vor allem auf Vollständigkeit zielt. Einzigartig sind allerdings Bibliothek und Archiv.

Beides wird nicht Thema des neuen Museums sein.

Nein, aber es ist die Voraussetzung dafür, dass ein Museumskonzept erarbeitet werden kann. Über dieses Konzept ist allerdings auch die beratende Arbeitsgruppe, der ich angehöre, noch nicht ganz im Bilde. Dies muss wohl mit dem Gestalter zusammen erarbeitet werden. Denn man muss im Kaispeicher B über zehn Böden auf 12.000 Quadratmetern die Spannung für die Besucher halten.

Kann man aus einer Sammlung, die auf Vollständigkeit zielt, überhaupt ein Museum machen? Bei der Entwicklung anderer Museen sprechen Wissenschaftler ja vor den Ankäufen kräftig mit.

Wenn man die Historie betrachtet, sind sehr viele Museen aus privaten Sammlungen entstanden. Wenn eine Sammlung dann in ein Museum überführt wird, müssen die Bestände natürlich strukturiert werden. Dies bedeutet normalerweise eine Auswahl von Exponaten, die dann in einen Kontext gestellt werden. Dass der Sammler dies anders sieht und am liebsten alles zeigen möchte, ist verständlich. Tatsächlich ist es ein Problem, wenn der Sammler selbst diese Umstrukturierung vornehmen soll.

Wenn man nur Herrn Tamms exquisite Stücke zeigte: Würden nicht zwei Böden des Kaispeichers reichen?

Man kann sicherlich einige Dinge zum Schaumagazin erklären – für diejenigen, die wirklich alles sehen wollen. Dieser Weg ist von Herrn Tamm anscheinend noch nicht überlegt worden. Tatsache ist aber, dass hier einige Themen hochinteressant inszeniert werden können. Wenn sich die Sammlung Tamm zum Beispiel als Meeresmuseum versteht, das sich mit Navigation befasst, dann schließt das eine Lücke in der hiesigen Museumslandschaft.

Die Sammlung Tamm würde also zum Event-Museum.

Ja. Und wenn solche Inszenierungen didaktisch gut aufbereitet werden, ist das aller Ehren wert.

Fürchten Sie sich nicht vor der Konkurrenz, die das Museum Tamm bedeutet? Oder ist die Reduktion Ihrer Schiffsabteilung bereits eine Reaktion?

Ja. Denn wir haben nicht so viele Schiffe wie er. Wer also massenweise Schiffsmodelle sehen will, wird im Museum Tamm künftig besser bedient sein. Für unser Haus bedeutet das, dass wir uns mehr auf unsere Stärken besinnen müssen: auf unsere Möglichkeiten, Ereignisse in den historischen Kontext zu stellen.

Fehlt der Tamm‘schen Sammlung also jeder Kontext?

Im Moment ist das noch nicht geleistet. Diese Aufgabe wird noch zu bewältigen sein.

Ein Event-Museum ist leichter verdaulich als Nachdenklichkeit: Fürchten Sie, dass Ihnen das Museum Tamm Besucher entziehen wird?

Diese Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Trotzdem können wir nicht nur noch Event-Museum sein. Aber wir überlegen, wie wir uns noch interessanter präsentieren können, damit die Besucher nicht nur an Vitrinenlandschaften entlanglaufen. Außerdem erarbeiten wir derzeit einen Schnell-Parcours für Kinder und Eilige sowie ein neues Marketing-Konzept. Doch trotz dieser Maßnahmen wird das Museum Tamm im Eröffnungsjahr allen anderen Hamburger Museen Besucher entziehen. Das pendelt sich aber erfahrungsgemäß im Laufe der Zeit wieder ein. Und da ich Optimistin bin, glaube ich nicht, dass wir auf Dauer Besuchereinbußen haben werden.