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: Autofahrt mit Ecken und Kanten

Von berockten Insulanern, die dicht sind – und Fußballtoren, die nicht abgeschlossen werden können

Behaupte ja keiner, Fußball verschärfe den Geschlechterkampf. Das Gegenteil ist der Fall. Mit dieser kleinen Geschichte vom Wochenende ist das leicht zu belegen: Das Autoradio lief. Meine Beifahrerin hörte schlaftrunken den Ausführungen in der Schaltkonferenz zu. Ein Kommentator sagte: „Er schließt ihn in die Ecke ab.“ Bis dahin am Fußballgeschehen nicht interessiert, weckte dieser Satz den Widerspruchsgeist der Schläferin. „Muss das nicht heißen: Er schließt die Ecke ab?“

Ich war einigermaßen perplex. Sollte ich ihren Einwand für geheucheltes Missverstehen halten, für eine durch und durch weibliche Finte, mit der sie nur eines beabsichtigen konnte: Mich auf die Palme bringen? Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Ich erklärte, dass die Wendung „Er schließt die Ecke ab“ nur bei einem direkt verwandelten Eckstoß in Frage käme; dass es sich bei der eben geschilderten Aktion jedoch allem Anschein nach um einen frontal ausgeführten Schuss gehandelt habe, somit der Abschluss des Balles durch einen Angriff aus dem Spiel heraus erfolgt sei – und nicht durch einen seltenen Kunstschuss von der Eckfahne.

Ich versuchte meiner Beifahrerin geduldig zu erklären, dass nur Stadiontore, nicht aber Fußballtore abgeschlossen werden, auch wenn oftmals Gegenteiliges behauptet wird, etwa: „Er macht die Schotten dicht.“ Einmal in herausfordernder Stimmung, war der nächste Konter (bzw.: Kalauer) meiner Beifahrerin selbstredend vorprogrammiert. „Ich dachte, das sei eine Übertragung von der Bundesliga, und kein Länderspiel, warum sollten sich da irgendwelche berockten Insulaner dem Suff ergeben.“

Es war dies gleichsam der Moment, in dem sie den Bogen überspannt hatte. Es folgten keine Erklärungen mehr. Ich machte mir still Gedanken über Ecken, vergegenwärtigte mir den Eckstangen-Lambada von Roger Milla, sah einen steinzeitlichen Oliver Kahn, wie er die Eckfahne als Keule missbrauchte, und war insgeheim froh, dass der Fußball trotz aller stromlinienförmiger Putzerfischchen seine Ecken und Kanten bewahrt hat – wenigstens auf dem Spielfeld. Später bildete ich mich eckenmäßig noch ein wenig weiter und erfuhr, dass bis zum Jahr 1924 direkt verwandelte Ecken gar nicht als Tor gewertet wurden. Aber nach zwei Kunstschüssen eines Kickers aus der Nationalelf Uruguays reichte der Verband einen Antrag auf Regeländerung ein – mit Erfolg.

Was meine Beifahrerin auf der restlichen Fahrt so alles dachte, wusste ich nicht. Es war mir auch ziemlich egal. Jedenfalls wagte sie nach dem Ende der Übertragung eine vorsichtige Versöhnung. Sie pfiff. Die Melodie von: „Mein Hut, der hat …“ Als ich den Wagen einparkte, sagte sie verblüffend sachkundig: „Das Runde muss ins Eckige.“ Ich schloss ab. MARKUS VÖLKER