Bitte recht freundlich – im Visier der Nazis

Keine Lust, sich von Rechtsextremisten für die Kartei „Feinde der Bewegung“ fotografieren zu lassen? Dann lieber nicht auf eine Gegendemonstration gehen, denn wer sich dort einen Schal vor das Gesicht hält, verstößt gegen das Vermummungsverbot. Ein Bremer Student will sich damit nicht abfinden

von Eiken Bruhn

Er wollte sich nicht fotografieren lassen. Nicht von diesen Leuten. Eine Geldstrafe von 200 Euro soll jetzt ein Student bezahlen, weil er sich im März vergangenen Jahres auf einer Demonstration gegen einen Aufmarsch der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) in Rotenburg an der Wümme wiederholt einen Schal vor das Gesicht gezogen hatte. Verstoß gegen das Vermummungsverbot, lautet die Anklage des Amtsgerichts Rotenburg.

Normalerweise werden solche Verfahren eingestellt, wenn der Angeklagte seine Schuld eingesteht und ein geringes Bußgeld zahlt, in diesem Fall 40 Euro. Doch das lehnt der 29-Jährige ab. „Ich habe keinerlei Unrechtsbewusstsein.“ Schließlich habe er sich nicht vermummt, um anonym zu bleiben, sondern weil er sich davor schützen wollte, mit Foto in den „Anti-Antifa“-Listen von Neo-Nazis zu landen. Dort sind zum Teil mit Anschrift, Telefonnummer und Foto alle diejenigen aufgelistet, die sich des Antifaschismus „verdächtig“ gemacht haben (siehe untenstehenden Artikel).

Auch auf der Rotenburger Demo seien die Neo-Nazis mit Kameras „bewaffnet“ gewesen, schildert der Bremer. Deswegen habe er sich den Schal vor das Gesicht gehalten. „Ich habe den aber immer wieder weggenommen, um der Polizei zu signalisieren, dass ich mein Gesicht zeige.“ Dieses Zeichen kam aber offensichtlich bei der Polizei nicht an. Seine Festnahme schildert er als unverhältnismäßig brutal: Ein Amtsarzt habe anschließend Verletzungen am Ellenbogen, der Nase und der Halswirbel festgestellt, außerdem habe er zwei Wochen lang nach dem Vorfall wegen Angstzuständen Beruhigungsmittel genommen. „So eine Gewalttätigkeit habe ich noch nicht erlebt“, sagt er. Dabei habe er sich friedlich verhalten, weder er noch andere Gegendemonstranten hätten einen Anlass zum Einschreiten geboten. „Das war eine friedliche Gegendemo.“

Genau deswegen könne auch von Verstoß gegen das Vermummungsverbot keine Rede sein, sagt die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke, Expertin für Versammlungsrecht. „Das Vermummungsverbot soll verhindern, dass jemand anonym Straftaten begeht, etwa Steine wirft“, so Heinecke. Sie hält Angst vor Verfolgung oder sogar Gewalt infolge von Foto-Veröffentlichungen für einen „absoluten Rechtfertigungsgrund“, sein Gesicht zu verbergen. Deswegen sollte niemand strafrechtlich verfolgt werden. Heinecke betont: „Der Schutzzweck des Gesetzes ist ein anderer.“

Dass der Amtsrichter dieser Argumentation folgen wird, bezweifelt Dieter Magsam, ebenfalls Rechtsanwalt in Hamburg und seit langem mit Versammlungsrecht befasst. „Damit sind auch schon andere gescheitert“, sagt der Strafverteidiger. Immer wieder hätten beispielsweise Ausländer, die in Deutschland gegen ihr Heimatregime protestieren, darauf hingewiesen, dass sie nicht erkannt werden dürfen, um ihr Leben nicht zu gefährden.

Der angeklagte Bremer Student will jetzt anhand von Video-Aufzeichungen der Polizei nachweisen, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Außerdem sollen die auf der Demonstration gemachten Filmaufnahmen nachweisen, dass die Neonazis gezielt einzelne Demonstranten „abgeschossen“ hätten, hofft sein Anwalt. Und dass er diese endlich mal zu Gesicht bekommt. Solange ist der Prozess ausgesetzt.