Bilanzfälscher bei AIG ganz dreist

Beim weltgrößten Versicherungskonzern AIG sollen nicht nur die Zahlen geschönt worden sein – angeblich haben Anwälte auch fleißig belastendes Material vernichtet

NEW YORK taz ■ Bilanzfälschung ist an der Wall Street gängig wie eh und je. Der aktuelle Skandal um den Versicherungskonzern American International Group (AIG) droht gar neue Maßstäbe in der Dreistigkeit der Manipulation zu setzen: In dem Unternehmen soll die Fälschung im ganz großen Stil betrieben worden sein – und ein bisschen in Thriller-Manier. Am Freitag hatte das Wall Street Journal berichtet, dass Anwälte des geschassten AIG-Chefs Hank Greenberg Firmendaten auf den Bermuda-Inseln vernichtet haben sollen, auch ein AIG-Mitarbeiter sei aufgefallen, als er Videobänder und Computerdaten zerstörte.

Der Kurs der Aktie stürzte daraufhin auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren. Seit Februar hat der Konzern damit 40 Milliarden Dollar an Börsenwert verloren. Dass der Skandal eine ähnliche Krise auslösen wird wie der um Enron, glauben Experten allerdings nicht: AIG geht es trotz der Abschläge immer noch zu gut, um tatsächlich in einen existenzgefährdenden Absturzstrudel zu geraten.

Der Kursverfall begann, als der New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer vor zwei Monaten eine Untersuchung der AIG-Praktiken einleitete. Auch die Börsenaufsichtsbehörde SEC und das US-Justizministerium haben sich eingeschaltet. In der letzten Woche mussten die AIG-Manager öffentlich zugeben, dass Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen entdeckt wurden, die das Eigenkapital des Konzerns um 1,7 Milliarden Dollar verringern könnten. Insgesamt sind 60 fragwürdige Transaktionen entdeckt worden. So wurden einige angeblich mit unabhängigen Firmen abgewickelt, die tatsächlich von AIG kontrolliert wurden. Zudem wurden Einnahmen für Anleihen angegeben, die gar nicht verkauft worden waren, und Verluste falsch verbucht, um die Bilanzen zu verschönern.

Das Eingeständnis kam nur zwei Tage nach dem Abtritt des langjährigen Leiters Hank Greenberg. Unter dem wachsenden Druck der Aufsichtsbehörden hatte der 79-jährige Patriarch seinen Posten als Verwaltungsratsvorsitzender des Konzerns aufgegeben, den er in den letzten 40 Jahren von einer kleinen Klitsche in einen Assekuranzgiganten mit 95.000 Mitarbeitern in 130 Ländern verwandelt hat.

In den Skandal verwickelt ist auch Multimilliardär Warren Buffett: Zwei der dubiosen Transaktionen fanden mit dem Rückversicherer General Re statt. Und der ist eine Tochterfirma des Anlageimperiums Berkshire Hathaway, das Buffett gehört. Wie das AIG-Management inzwischen zugab, hatte sich AIG Geld von General Re geliehen, die Transaktionen aber als Versicherungsgeschäfte verbucht, um die Schadensreserven künstlich zu erhöhen. Buffett und seine Manager müssen am 11. April als Zeugen vor der Behörde auftreten. Einen Tag später wird Greenberg in die Mangel genommen.

Dass Greenberg leicht davonkommt, glaubt niemand. Denn der Skandal hat nicht nur dem Image des Konzerns und seines langjährigen Leiters enorm geschadet, sondern Millionen von Amerikanern, die ihr Geld in die Aktien von AIG investiert haben, um einen Teil ihres Vermögens gebracht.

Greenberg galt als eine Ikone der Versicherungswelt. Niemand war mächtiger und gefürchteter in der Branche als der Gesundheitsfanatiker. Auch politisch war der überzeugte Republikaner sehr aktiv. Vor über zehn Jahren begleitete er den damaligen Präsidenten George Bush auf seiner Reise durch Asien. Außerdem gehörte AIG zu den ersten Versicherungen, die in China aktiv waren. Nach dem 11. September 2001 setzte sich Greenberg dafür ein, dass Steuerzahler und nicht Versicherungen für Terrorschäden aufkommen müssen.

HEIKE WIPPERFÜRTH