Geisterbeschwörer des jamaikanischen Dub

LEGENDE Lee Perry kam, sah und besiegte am Freitag im Haus der Kulturen der Welt jede falsche Vorstellung von Perfektion auf der Bühne

Eine verspiegelte Pickelhaubenbaseballkappe hat er auf. Mit ihr kanalisiert er möglicherweise kosmische Strahlung von oben in sein multidimensionales Hirn, unliebsame Strahlung dagegen schirmt er rundherum ab, damit aus seinem Mund die richtigen Wörter rausfließen. Am Anfang war das Wort, und Lee Perry hat es mitgebracht. Als Zauberer Merlin sprach er Freitagabend zu Berlin. Welcome to the Night Train.

Die Mitreisenden warteten schon auf dem Dach des HKW mit einer Pfeife, aus der heiliger Rauch strömte, und es war gut. Unten in der nun pausenstillen Halle saßen zwei Schulmädchen an der Wand, man hätte vielleicht das eigene Kind mitbringen können, gute Vibrations aufzufangen. Hat es doch schon im Mutterleib Lee Perrys Dubs bekommen. Die meisten der Stücke, die die Leute hören werden, solange es Strom und Tonträger geben wird, hat Perry in seinem Black Ark Studio auf Jamaica in den Siebzigern aufgenommen, bevor er es niederbrannte – unreine Geister mussten ausgetrieben werden, und „fire is the purifier“.

Auf einem Applerechner hat Adrian Sherwood einige der alten Perry’schen Dubversions mit nach Berlin gebracht, von denen die bekanntesten allesamt von Max Romeo sind: „Chase the Devil“, „War in a Babylon“, „One Step Forward“. Die lässt Sherwood nun in den Raum plumpsen. Sherwood ist Mastermind des Londoner Labels On-U Sound, Produzent der größten Lee-Perry-Platte der Post-Ark-Ära, „Time Boom X De Devil Dead“ von 1987, und ansonsten ein freundlich aussehender älterer Skinhead im Polohemd. Er trinkt abwechselnd Wasser und Bier, dreht an den Reglern seines Mischpults und schlägt hin und wieder auf ein elektronisches Drumpad.

Die Bühne ist leer, Sherwood spielt ein paar Stücke, um die Menge einzugrooven, bis endlich Perrys Stimme geisterhaft ertönt. Zu sehen ist er noch nicht, dann aber erscheint er auf der Bühne. Einen glitzernden Rollkoffer hat er mitgebracht, es dürfte der erste Auftritt eines Rollkoffers auf einer Bühne zusammen mit einer sogenannten Legende sein. Perry ist ein großer Kommunikator, Geisterbeschwörer und Entertainer, und so schwenken es ihm nachtuend die Leute gleich ihre Feuerzeuge durch die Luft.

Es ist nicht so, dass Perry etwas auf die Lyrics der Stücke geben würde, die ihm als Transportmittel für seinen Vortrag dienen. Manchmal erinnert er sich an die Texte und singt sie auch. Meistens aber toastet er gemütlich vor sich hin, immerhin ist der große alte Mann des Dub inzwischen 73 Jahre alt.

Perry verkörpert den wahren, uralten Spirit jeder Performance. Was passiert, das passiert, und es passiert, wenn es passiert. Wenn es mal nicht passiert, dann passiert es eben für den Moment nicht. Wer zum Lee-Perry-Konzert kommt, der sollte besser keine bis ins Detail geplante Show erwarten, überhaupt keine Reproduktion von irgendwas, auch wenn das Material potenziell immer da ist.

Manchmal stimmt der Flow, und schon ist zu spüren, wer Lee Perry war, ist und sein könnte. Dann zaubert Merlin ein Lächeln auf die Gesichter der Leute von Berlin. Der Meister tanzt zwischendurch sogar und tippt mit dem Finger an die Fußspitze des Beins, das er rhythmisch in die Luft geworfen hat. Er wirft Zaubersprüche hinaus in die Welt, reimt mal mehr, mal weniger akkurat, stolpert und hängt immer wieder durch.

Zwei, drei Stücke lang wird sich mühsam gehangelt entlang des Riddim, der Faden ist verloren, die Magie ist weg, der Geist hat sich verflüchtigt. Dann aber steht die Verbindung wieder, die Bläser setzen ein, Perry ist ganz für sich und ganz für dich, lässt herabregnen das Wort für die Kinder des Lichts, und das sind wir ja alle, oder nicht? Amen, so war es.

ULRICH GUTMAIR