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Die Unterwelt im Regierungsviertel

KENNEN SIE BERLIN? (TEIL 5) Ein Gang durch die langen Tunnel, die die Regierungsgebäude verbinden

Kennen Sie Berlin?

■ Alteingesessene und Altzugezogene werden abwinken – aber selbst ihnen bietet der neue Berlin-Reiseführer des Trescher Verlags noch unerwartete Einblicke. Insgesamt 15 taz-AutorInnen erzählen in dem Band die Geschichte von Orten, die unspektakulär daherkommen, aber auf eine ganz besondere Weise das Wesen der Metropole verkörpern. Seit 27. Dezember und auch in den kommenden Ausgaben präsentieren wir eine Auswahl.

■ S. Klimann, R. Knoller, C. Nowak: „Berlin“. Trescher 2011, 471 S., 400 Fotos, 17 Detailkarten, 16,95 Euro

■ Erhältlich ist der Reiseführer auch im taz-Shop: unter shop.taz.de oder – ganz real – in der Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

Es gibt besonders öffentliche Orte im Berliner Regierungsviertel, jeder kennt sie, die Kuppel auf dem Reichstagsgebäude gehört dazu. Wer den Rest des Gebäudes besucht oder eines der Abgeordnetenhäuser, erreicht bereits den etwas außergewöhnlicheren Teil des Deutschen Bundestages. Es bedarf dafür einer Anmeldung, der Besuch ist exklusiv. Und dennoch gibt es einen noch viel unbekannteren Teil des politischen Berlins. Fast niemand sieht ihn vollständig, selbst Mitarbeiter der Abgeordnetenbüros wissen oft nicht viel von seiner Existenz.

Wer das Reichstagsgebäude außen passiert, hat keine Vorstellung davon, wie weit sich die Architektur der Abgeordnetenhäuser in den Boden Berlins hineingefressen hat. Denn für die meisten unbemerkt existiert unter dem Reichstagsgebäude ein ausgeklügeltes Tunnelsystem. Es unterquert Parkplätze und Flüsse, umfasst Straßen und Wege und stellt eine Welt der Logistik dar, die ihre ganz eigene Faszination mit sich bringt.

Das System verbindet das Reichstagsgebäude unterirdisch mit den Abgeordnetenhäusern, dem Paul-Löbe-Haus auf der Seite des Bundeskanzleramtes und dem Jakob-Kaiser-Haus in Richtung Wilhelmstraße. Bis 2011 wurde auf dieser Seite an einer Verlängerung des Systems gebaut, denn auch das neu hinzugekommene Verwaltungsgebäude jenseits der Wilhelmstraße sollte angeschlossen werden. Was von außen betrachtet aber noch überraschender ist: Auch das jenseits der Spree liegende Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitz der Bundestagsbibliothek, ist unterirdisch an die anderen Gebäude angeschlossen.

Sogar mehr als das: Vor dem Marie-Elisabeth-Lüders-Haus befindet sich die Haupteinfahrt für die Lkws, die die Restaurants in den Gebäuden mit Lebensmitteln versorgen. Wer an der Spree auf der Seite des Hauses entlangläuft, kann kurz vor dem Haus der Bundespressekonferenz einen kurzen Eindruck davon gewinnen: Stets gesichert, befindet sich dort die Einfahrt in das System auf der anderen Seite der Spree; unbemerkt fahren hier die Laster in die unterirdischen Gänge.

Um zu den Abgeordnetenhäusern zu gelangen, fahren die Lkws zunächst unter der Spree hindurch. Mithilfe einer künstlichen Steinschicht und Eisenplatten wird verhindert, dass Schiffsanker das System beschädigen können oder Wasser einbricht. Hinter der Spree teilt sich das System und führt auf der Seite der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft die Laster weiter in Richtung des Paul-Löbe-Hauses. Dort gibt es unterirdisch sogar eine Wendefläche.

Die Architektur der Abgeordnetenhäuser hat sich weit in den Boden Berlins hineingefressen

Wer sich für diesen Teil Berlins interessiert, hat eigentlich nur eine Chance: Der Weg geht über das Abgeordnetenbüro des eigenen Wahlkreisvertreters. Durch eine kurze Fahrt im Fahrstuhl im Jakob-Kaiser-Haus hinab ins zweite Untergeschoss lässt sich ein Eindruck von den verborgenen Tunneln gewinnen. Aber eben nur in Begleitung.

Und wer das nicht machen kann, sollte sich an den vielen Fußgängertunneln erfreuen, die die Gebäude ebenfalls verbinden. Die zwischen Reichstagsgebäude und Paul-Löbe-Haus sowie zwischen Reichstagsgebäude und Jakob-Kaiser-Haus sind besonders während Sitzungswochen hochfrequentiert von allen, die in den Gebäuden zu tun haben. Und auch davon bekommt der außenstehende Berlinbesucher nichts mit. GORDON REPINSKI

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