berliner szenen Lächeln und Hüsteln

Der alte Raucher

Er hielt sich dezent die Hand vor den Mund, aber dieser Husten klang nicht gut. Er hörte sich an, als wäre sein kratzender Reiz nicht mehr zu unterdrücken. Aber der alte Italiener konnte ihn vorübergehend beschwichtigen, indem er eine Zigarette rauchte. Zu diesem Zweck stellte er sich in den Eingangsbereich des Gangs, der zur Garderobe und zu den Toiletten führte. Dort standen auf einem Tischchen neben dem Schubkasten für das Besteck auch die zu Säulen unterschiedlicher Höhe aufeinander gestapelten Ascher des Lokals.

Hastig und heimlich wie ein Schuljunge ging der zerbrechliche Herr seiner Sucht nach, dennoch sah man ihm an, wie er seine Filterzigarette genoss. Anschließend gesellte er sich wieder zu seinen Leuten. Er gehörte zu einer großen deutsch-italienischen Geburtstagsgesellschaft im Hinterzimmer eines italienischen Restaurants in Kreuzberg. Manchmal setzte sich der alte Mann nicht an seinen Platz zurück, sondern stellte sich vor die über Eck stehenden Tischreihen. Man hätte meinen können, er setze zu eine Ansprache an, aber er stand nur schüchtern vor seinen Angehörigen und deren Freunden, die ihn mit einer freundlichen Lässigkeit sich selbst überließen. Der etwas gebeugte, tadellos gekleidete Greis murmelte dann ein bisschen vor sich hin und begab sich wieder zu seinem Raucherplätzchen.

Dort wiederholte sich das Ritual. Aus dem Jackett holte er ein edles Feuerzeug hervor und schüttelte ungehalten den Kopf, weil seine Hand beim Anzünden zitterte. Dann der erste Zug, ein Lächeln, ein Hüsteln und ein dankbarer Blick für den Kellner, der ihm einen eigenen Ascher hinstellte. Vielleicht war er ein bisschen durcheinander. Aber sein Suchtverhalten hatte Stil.

KATRIN SCHINGS