F1 – F2, ein echter Klassiker

Zur Kartenvergabe der WM 2006 stellt sich die Frage: Gehen wir ins Stadion oder lieber gleich ins Gefängnis?

Angeblich wusste der Käufer in der ersten Bestellphase nicht, wer gegen wen spielt. Er muss alle Bestellungen, für die er ausgelost wird, annehmen. Die angegebenen Begleiter müssen bei jedem Spiel dieselben sein – Ausnahmen nur im Todesfall. So hat man am Ende, optimales „Losglück“ vorausgesetzt, siebenmal vier weder eintausch- noch rückgabefähige Tickets für Partien wie Paraguay gegen Mauretanien, davon jeweils drei für Leute, die sich in der Zwischenzeit als Verbrecher entpuppt haben und die man im Leben nicht wiedersehen will – Kostenpunkt: 2.006 Euro plus Zustellgebühr.

Alles bloß Hetzpropaganda notorischer Miesmacher – selbstverständlich konnte man festgelegte Paarungen wählen, zum Beispiel A4 – A1, B4 – B2 oder F1 – F2. Das wird sich auch beim Chinesen durchsetzen, dass nur noch die Nummern in der Karte stehen – ist doch eh alles die gleiche Soße. Ich entschied mich für F1 – F2, einen echten Klassiker: F1 hatte sich in den letzten Turnieren regelmäßig zum Geheimfavoriten gemausert. Und dann erst der Gegner, F2, mit seinem Mittelfeldstar XY, seinem präzisen Kurzpassspiel und den heißblütigen Fans: „F2, F2 – schlagt sie zu Brei“ – wenn ich an die fanatischen Gesänge nur dachte, liefen mir eiskalte Schauer den Rücken herunter.

Doch vor den Sieg hatten Schilys Datenschergen die ausgiebige Demütigung des Antragstellers gesetzt. Das Formular nannte sich „Beantragung von Einzeltickets der Kategorie 4“, doch passender wäre gewesen: „Mach dich nackig, du Sau!“ Bei der Volkszählung hatte ich mich damals noch über die Strafandrohung hinaus gewehrt, schließlich gelogen, dass sich die Balken bogen und selbst das noch mit schlechtem Gewissen, weil ich mir vorkam wie ein verkappter Staatsbürger. Jetzt machten sie sich unsere Fußballbegeisterung zunutze – sie wussten, dass Spinner wie ich nun zu allem bereit waren: Für eine lumpige Eintrittskarte würden wir säckeweise Geburtsurkunden, Kontoverbindungen und abgeschnittene Fußnägel für die DNA-Analyse ins Netz beamen.

Private Angaben, die jede Wehrdienstverweigerungskommission zu Tränen gerührt hätten, lieferte ich ohne mit der Wimper zu zucken dem lückenlosen Überwachungsstaat von morgen als Grundstock wohlfeil frei Haus. Dessen potenzielle Besucher durften zwar aus Aruba oder Neu Kaledonien stammen, nicht jedoch Fan dieser Länder sein – in diesem Pflichtfeld blieben als coolste Wahl noch die Salomon-Inseln. In einem rudimentären Akt zivilen Ungehorsams machte ich meinen Pflichtbegleiter zum Anhänger dieser Inselgruppe und erfand obendrein den Geburtsnamen seiner Urgroßmutter. Wenn das mal keinen Ärger gab! Für mich selber klickte ich vorsichtshalber „neutral“ an und für alle drei Spiele „Anfahrt: S-Bahn; Bratwürste: Keine; Blutgruppe: A Positiv.“

Und so geht es weiter: Ich habe Glück und bekomme zwei Karten der billigsten Kategorie. Die Salomon-Inseln qualifizieren sich sensationell für das Turnier und werden F1. Mein Begleiter wird präventiv inhaftiert. Ich selber bekomme ab Januar jede Woche Besuch von zwei Männern in langen Mänteln. Die Gefährderansprache verläuft immer gleich: „Freuen Sie sich schon?“ – „Ja.“ – „Aber hoffentlich nicht zu sehr.“ – Ich schlucke. – „Sie wissen schon, was ich meine …“ – „Ja“, sage ich dann jedes Mal, aber ich weiß es nicht.

Am Vorabend des Spiels beginnen am Stadion die Sicherheitskontrollen. Ich erfahre, dass die gewählte Option „Bratwürste: Keine“ ungültig ist, und unterschreibe, dass ich dem Hauptsponsor „Pee Beer“ einen Liter alkoholfreie Amiplörre abnehme und mich darüber hinaus beim Nebensponsor „US Army“ verpflichte. Noch am Drehkreuz erfolgt ein letzter Abgleich der Biodaten – Fingerabdrücke, Speicheltest und Schwanzvergleich. Danach werde ich stundenlang verhört: Sie wollen wissen, wo mein Begleiter ist. Ohne ihn darf ich nämlich nicht rein, aber immerhin lassen sie mich gehen. Ich habe Glück gehabt – ich muss nicht ins Gefängnis.

ULI HANNEMANN