Huber schwätzt im Unterricht

Die SPD tendiert zum Pflichtfach Ethik. Das passt Bischof Huber gar nicht. Aus Protest drückt der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche die Schulbank – natürlich beim Religionsunterricht

VON PHILIPP GESSLER

Grauer Anzug, graues Hemd, dynamischer Auftritt – der Nachfolger Luthers kommt zu Besuch. Nein, das ist jetzt fies, es ist doch nur der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, der vor dem Bertha-von-Suttner-Gymnasium in Reinickendorf der Direktorin Jutta Randelhoff zur Begrüßung die Hand drückt. Zwei Kamerateams sind dabei, ein paar Journalisten vom Radio und von Zeitungen. Der Bischof von Berlin-Brandenburg und irgendwas mit unterer Oberlausitz oder so besucht den 60er-/70er-Jahre Flachbau. Dass er da ist, ist eigentlich schon die Nachricht.

Das Thema ist: Religionsunterricht. Denn wenn am Wochenende die SPD zu ihrem Landesparteitag zusammenkommt, könnte es ihm in der Hauptstadt an den Kragen gehen. PDS und Sozis wollen ein Pflichtfach Werteunterricht einführen, bei dem sich die Schülerinnen und Schüler Berlins nicht abmelden können sollen, um einen Religionsunterricht zu belegen.

Der Religionsunterricht wäre dann zwar immer noch freiwillig möglich – aber, mal ganz ehrlich: Wer geht schon freiwillig noch in den Reli-Unterricht, wenn man sowieso schon in einen anderen, zudem zusätzlichen über Ethik, die Religionen und die letzten Dinge gehen muss? Außerdem ist absehbar, dass der Religionsunterricht aus organisatorischen Gründen dann in unattraktiven „Randstunden“, also ganz spät oder ganz früh während des Schultags laufen muss. Das sind, in etwa, die Befürchtungen der Landeskirche, weshalb neben den Kirchen der Hauptstadt auch die Jüdische Gemeinde Stimmung macht gegen das Pflichtfach Werteunterricht.

So sitzt denn also Huber brav in die dritte Reihe der 6c zwischen den Gymnasiasten und lauscht der evangelischen Religionslehrerin Renate Koch. Die versucht ihren Schützlingen die sperrige biblische Geschichte von Sara und Haga nahe zu bringen: Es geht entfernt um Leihmutterschaft, wenn man will. Am Ende haben die Schülerinnen und Schüler gelernt, dass die arabischen Völker über Abrahams Sohn Ismael auch irgendwie zum Volk Gottes gehören. Huber sitzt neben den jungen Menschen und sagt nichts. Zu faul, Sechs, setzen!, will man schon rufen – aber was ist schon von solchen Besuchen zu halten, wenn in der Schulklasse mehr Journalisten versammelt sind als Schüler. In einer 10. Klasse geht es gleich danach ähnlich absurd weiter: Vielleicht hat der Relilehrer ja einen schlechten Tag, aber der Unterricht gleicht dann doch eher dem Laberfach, als das Religion verschrien ist. Die Sache verläuft so zäh, dass der Lehrer am Ende sogar eher Huber interviewt, und zwar zur Frage „Patientenverfügung“. Huber referiert länglich, wie das rechtlich und religiös zu beurteilen sei. Kein Wunder, dass der Papst an diesem Morgen die Schüler mehr bewegt.

Ach so, eins bleibt noch zu ergänzen: Evangelische Christen in der SPD haben einen offenen Brief an Huber geschickt, in dem sie der Kirchenseite bei der Diskussion um den Werteunterricht eine „gezielte Rufschädigung“ vorwerfen: „Bei allen Auseinandersetzungen sollte die Kirche ihre eigenen Werte nicht vergessen“, schreiben sie spitz. Die Fronten sind tief im Werteunterrichtsstreit. Vielleicht hat sich die Sache ja geklärt, bevor die Schülerinnen und Schüler des Suttner-Gymnasiums Abitur machen. So Gott will!