Schüler erforschen die Blackbox Hochschule

Viele Abiturienten haben keine Ahnung, was sie an der Hochschule erwartet. Daher gibt es immer mehr Projekte, die Schüler darauf vorbereiten, eigenständig zu denken

Auf die Idee gekommen ist Rainer Höll gemeinsam mit seinem Mitbewohner. Der hatte nach zwei Semestern frustriert sein Jurastudium abgebrochen. Nichts in der Uni war so gewesen, wie er sich das als Schüler vorgestellt hatte. Aus dem Frustrationserlebnis heraus entdeckten die beiden ehemaligen Schulkameraden jedoch eine Marktlücke: „Eigentlich weiß doch kaum ein Schüler, was tatsächlich an den Unis abgeht“, sagt Höll. „Das brachte uns auf die Idee, zurück an die Schule zu gehen und genau das zu erklären.“

Aus einem Infoabend für die höheren Jahrgänge der ehemaligen Schule wurde eine Institution. „Die Schüler haben uns gelöchert mit Fragen“, erzählt Höll. „Und wir mussten jedes Jahr wieder kommen.“ Kein Wunder: Höll hatte etwa 30 ehemalige Klassenkameraden aus seinem Abiturjahrgang mobilisiert, die von Physik bis Literaturwissenschaft über jede Menge Studiengänge live berichten konnten. Es dauerte nicht lange, bis auch andere Schulen Interesse an dem Ehemaligen-Konzept zeigten.

Heute ist aus dem Projekt der Verein „Alumni at School“ geworden. Fünf Gymnasien sind dabei, die Robert Bosch Stiftung hat sich der finanziellen Förderung angenommen. Höll ist zweiter Vorsitzender des Vereins und hat drei Mitarbeiter. In diesem Monat wollen sie ein Datenbank-System und ein Online-Handbuch herausbringen, um allen interessierten Schulen die Alumni-Arbeit zu erleichtern. Der Service ist kostenlos – der Verein arbeitet gemeinnützig.

„Alumni at School“ ist nicht die einzige Initiative, die begonnen hat, sich dem Schnittstellenmanagement zwischen Abitur und Studium zu widmen. Ein virulentes Thema: Ein Viertel der deutschen Studierenden wirft vorzeitig das Handtuch. Das geht aus einer Studie des Hochschul-Informations-Systems (his) hervor, die in diesem Jahr veröffentlicht wurde. Laut Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes wechseln 21 Prozent während des Erststudiums ihr Fach.

Ein Grund seien mangelnde Informationen, meint Peer Pasternack vom Institut für Hochschulforschung Halle-Wittenberg: „Den AbiturientInnen fehlt es an Orientierungssicherheit.“ Pasternack hat die Erfahrung gemacht, dass vor allem Schulabgänger aus ärmeren Familien unzureichend informiert sind und sich deshalb schwer tun zu entscheiden, ob und was sie studieren wollen. Es sei aber essenziell, mehr junge Menschen, auch aus den unteren Einkommensschichten, zum Studium zu motivieren, sagt der Wissenschaftler. Es gelte, stärker darüber zu informieren, was ein wissenschaftliches Studium vom Schulunterricht unterscheidet, und Schüler auf die anderen Formen des Lernens an der Uni vorzubereiten.

Ein Modell dazu bietet zum Beispiel das Heidelberger Life Science Lab in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Medizin. Hier arbeiten Schüler der Jahrgangsstufen 8 bis 13 in selbst organisierten Arbeitsgruppen an wissenschaftlichen Themen. Betreut werden sie von Dreier-Teams aus je einem Wissenschaftler, einem Lehrer und einem erfahrenen Schüler. Träger ist das Deutsche Krebsforschungszentrum; zahlreiche Wirtschaftsunternehmen und das Land Baden-Württemberg fördern das Projekt. In Vorträgen und Wochenendseminaren setzen sich die Schüler mit Themen wie Stammzellenforschung oder Neuropsychologie auseinander. „Das wichtigste Ziel ist, dass die Schüler eigenständiges Arbeiten lernen“, sagt Thomas Schutz, der das Projekt ins Leben gerufen hat. Das sei die Schlüsselkompetenz, die später an der Uni gebraucht werde. Bewerber müssen sich durch ein Referat für die Teilnahme qualifizieren. Engagement zu zeigen ist dabei wichtiger als fachliches Vorwissen.

Ein weiterer Versuch gymnasiale Oberstufe und Uni miteinander zu verzahnen läuft schon seit längerer Zeit in Berlin. An vier Gymnasien gibt es Mathe-Spezialklassen, die mit der Humboldt-Universität kooperieren. Dort können Schüler im Leistungskursunterricht bereits Mathe-Scheine an der Uni erwerben. Hinter dem Projekt steht das Berliner Netzwerk mathematisch profilierter Schulen. Dieses Netzwerk organisiert nicht nur die Spezial-Leistungskurse, sondern veranstaltet auch Sommeruniversitäten für junge Mathe-Cracks. Schüler, Lehrer und Wissenschaftler nehmen daran teil.

„Die Arbeit im Netzwerk hat enorm positive Rückwirkungen auf die Lehreraus- und -fortbildung“, sagt Jürg Kramer, Professor an der Berliner Uni und Leiter des Projekts. Beispielsweise sitzen in den Matheseminaren der angehenden Studienräte und -rätinnen an der Humboldt-Universität nicht nur Professoren und Studenten, sondern auch Lehrer aus dem Netzwerk. Sie berichten aus ihrem Alltag und stellen so manche kritische Frage zur Umsetzung didaktischer Konzepte in der Praxis.

Beispiele für solche und ähnliche Projekte lassen sich an weitern Unis finden. An den Hochschulen in Köln oder Hannover können Schüler ebenfalls nebenher Unischeine erwerben.

Hochschulforscher Pasternack glaubt dennoch, dass trotz einiger Vorzeigeprojekte der Übergang von der Schule auf die Uni eine Großbaustelle bleibt: „Es gibt noch immer weit reichende Informationsprobleme.“

NADINE BOES