Das große Texteaufsagen

Der italienische Dramatiker Fausto Paravidinos gilt als Lieblingsautor aller Globalisierungskritiker.An der Inszenierung seines Stücks „Stillleben in einem Graben“ aber scheitert das Schauspiel Köln

von ALEXANDER HAAS

Köln macht sich mit der deutschsprachigen Erstaufführung von „Stillleben in einem Graben“ bereits zum zweiten Mal um die Aufarbeitung eines der frühen Stücke des jungen italienischen Dramatikers Fausto Paravidino verdient. In der vergangenen Saison kam am Schauspiel der Stadt Paravidinos „Zwei Brüder“ von 1998 heraus, diesmal ist es sein Krimistück von 2001 mit pittoreskem Titel.

In Deutschland bekannt geworden ist Paravidino, 1976 in Genua geboren, allerdings mit anderen, explizit politischen Stoffen. Seine „Peanuts“ wurden 2003 in der Kritikerumfrage von Theater heute zum besten ausländischen Stück erklärt, darauf folgte „Genua 01“. Beide verhandelten, mal indirekt, mal direkt, die Globalisierung kritisch. Und plötzlich hatte Theater-Deutschland, zu Recht, seinen Lieblings-Antiglobalisierungsautor. Doch bereits in den frühen Stücken erweist sich Fausto Paravidino als präziser Konstrukteur seiner zunächst unscheinbaren Texte. Paravidino interessiert sich nicht für das große Drama. Wie in „Peanuts“ und „Genua 01“ ist die ironische Lakonie auch in „Stillleben in einem Graben“ das beherrschende Stilmittel des neuen Stücks.

Es versammelt sechs Figuren in einer italienischen Kleinstadt und liest sich wie ein mit allen genretypischen Versatzstücken versehener, zeitgenössischer Krimi. Die Leiche einer jungen Frau wird in einem Straßengraben gefunden. Inspektor Salti beginnt mit den Ermittlungen im Drogenmilieu, und lange Zeit meint auch der Leser, der Fall würde dort gelöst. Das Stück lässt seine Figuren – neben dem Inspektor eine Prostituierte, einen Dealer, einen süchtigen Loser, den koksenden Freund der Ermordeten und deren Mutter – abwechselnd in ausführlichen Prosamonologen aus der Ich-Perspektive zu Wort kommen. Das wesentliche Ingredienz eines Theaterstücks, die szenische Interaktion, schenkt sich Paravidino.

Natürlich klingt es etwas merkwürdig, in einem Theaterstück der Gegenwart einem Inspektor zu begegnen. Doch innerhalb der vom Genre vorgegebenen Stereotype versteht es Paravidino, jeder Figur eine glaubwürdige Stimme zu verleihen. Zudem gibt der Italiener dem Ganzen eine gute Portion sarkastischen Humor mit. Ohnehin ist es manchmal befriedigender, einen ordentlichen Krimi zu lesen, der zugleich als Milieustudie durchgeht, als irgendeine vermeintlich zeitgemäße Medien-Pop-Textfläche.

Dennoch hat das Stück ein kardinales Problem. An ihm scheitert auch die Kölner Inszenierung des jungen Regisseurs Jens Poth. Was beim Lesen so gut funktioniert – dass man die wechselvolle monologische Struktur des Texts als interessante Variante des üblichen Krimierzählens begrüßt –, das gerät der Aufführung zum Knockout. Poth lässt den Text eins zu eins, nun ja, aufsagen, vorspielen? Im gerade frisch ausgeschlachteten „Erfrischungsraum“ im ersten Stock des Kölner Schauspielhauses nehmen seine Schauspieler zu Beginn Position, um sich dann nur noch selten in Bewegung zu setzen. So stehen sie da und sprechen ihren Text. Das monologische Prinzip funktioniert aber nur auf dem Papier des Lesers, der sämtliche Leerstellen per Imagination füllen kann. Auf der Bühne, wo der Zuschauer optisch vorversorgt ist, reicht das zumal bei einem trivialen Stoff hinten und vorne nicht.

Die Verkennung des Problems hat natürlich Folgen. Schon nach etwa der Hälfte des ersten Monologs droht die Frage, ob „die etwa das ganze Stück so machen wollen“. Es dürfte wohl den virtuosesten Schauspielern Schwierigkeiten bereiten, interaktionslose Monologe von oft mehreren Seiten unterhaltsam zu gestalten, zumal wenn diese Monologe sich immer wieder auch um dienstliche Verrichtungen, fallbedingtes Kopfzerbrechen, andere Banalitäten der Aufklärungslogik oder die heillosen Verstrickungen von Kleinkriminellen drehen.

Doch über solche Schauspieler verfügt das Kölner Ensemble unter der nach wie vor umstrittenen Intendanz von Marc Günther im Ganzen betrachtet auch nach dreieinhalb Spielzeiten nicht. Und so spürt man förmlich, welche Last aufgrund der Stückstruktur auf ihnen liegt. Jeder, der nach vorne tritt, hat die Aufgabe, über lange Minuten seine Figur halten zu müssen. Das gelingt mal besser, mal schlechter, aber ein richtig pralles Sittenbild will sich nicht einstellen. Ohne ein starkes Ensemble ist dieser Text, gerade wegen seiner Schlichtheit, nicht zu meistern. Das Gleiche gilt für die Regie. Jens Poth hat sich in der Krimitradition des Films umgeschaut und zitiert musikalisch den „Dritten Mann“ oder mit Inspektor Saltis sprachlicher und äußerlicher Schnoddrigkeit Peter Falks „Colombo“. Das Programmheft bezeichnet die Figuren als „alte Bekannte“ der Krimitradition. Und in diesem Stil, als ironischer Zitatcomic, hätte die Sache vielleicht auch funktionieren können. Aber dafür lässt Poth seine Schauspieler nicht weit genug gehen, sie schaffen zu wenig Dichte und Vitalität, sie müssen zu viel öden Text abspulen.