Mit Ecken und Kant

Wenn die Präsidenten Irans und Algeriens in Paris vor der Unesco den „Dialog der Zivilisationen“ erklären

PARIS taz ■ Sie wollen mehr wissen über „Menschenrechte“, „Frieden“ und „gegenseitigen Respekt“? Fragen Sie Mohammed Chatami und Abdelaziz Bouteflika. Der Staatspräsident der Islamischen Republik Iran und jener der Demokratischen Volksrepublik Algerien haben gestern in Paris am Hauptsitz der UN-Bildungsorganisation Unesco lange Reden gehalten, um ihre Konzepte des „Dialogs der Zivilisationen“ zu erklären. Die mehreren hundert TeilnehmerInnen, darunter internationale PolitikerInnen und religiöse Würdenträger, spendeten artig Beifall.

Chatami, dessen Land acht Jahre nach dem Amtsantritt des „Reformers“ bei Hinrichtungen, Folter und Pressezensur zur Weltspitze gehört, trat im bodenlangen braunen Kittel vor sein Publikum. Er zitierte Toynbee, Kant, den deutschen Philosophen Gadamer und den Koran. Er erwähnte Jesus, Buddha und Moses. Und er nannte den internationalen Terrorismus ein „unseliges Phänomen“ sowie die Attentate vom 11. September eine „Katastrophe“.

Dass es sich bei dergleichen Gewalttaten nicht um Naturphänomene handelt und dass auch sein Regime in Teheran für Attentate in aller Welt gesorgt hat, erwähnte er nicht. Hingegen plädierte er für die Fortsetzung des „Dialogs der Zivilisationen“, den die UNO in aller Welt seit dem Jahr 2000 organisiert. Chatami, der sich nachhaltig für diesen Dialog eingesetzt hatte, erwägt jetzt, kurz vor dem Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit im Juni, eine Nichtregierungsorganisation zu gründen, um die „Kultur des Dialogs“ zu fördern.

Nach seinem Unesco-Auftritt hatte Chatami noch ein Rendezvous mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac, bei dem die Atomfrage im Zentrum gestanden haben dürfte. Der Iran hält gegen den erklärten Willen der internationalen Gemeinschaft an seinem Atomprogramm fest. Und Chatami versucht, die EU zu weiteren Verhandlungen zu bewegen.

Der voraussichtlich letzte Frankreichbesuch Chatamis als iranischer Präsident verlief deutlich diskreter als 1999. Damals protestierten zahlreiche Menschenrechtler. Gestern riefen lediglich die Antirassismusorganisation MRAP sowie iranische Oppositionelle zu Protesten auf. Währenddessen schickte sich Chatami bereits zur Weiterreise an, die ihn auch zur Beerdigung des Papstes führen wird.

Als zweiter Gastredner vor der Unesco erklärte gestern der algerische Staatschef Bouteflika, dessen Land in den 90er-Jahren einen Bürgerkrieg zwischen Armee und Islamisten mit über 100.000 Toten und Tausenden Verschwundenen erlebte, die drei Phasen der Globalisierung sowie die Genese der „Ideologie des Schocks der Zivilisationen“. Letztere, so Bouteflika, sei der „methodisch schwache intellektuelle Versuch“ des US-amerikanischen Intellektuellen Samuel Huntington gewesen, der „leider ein Echo in der muslimischen Welt“ gefunden habe. Der Terrorismus allerdings sei kein alleiniges Phänomen der islamischen Welt, sondern eines, das auch der Westen kennen gelernt habe, bei Attentatswellen vor dem Ersten Weltkrieg und in den 70er-Jahren. Als Hilfsmittel empfahl auch Bouteflika der Unesco den „Dialog der Zivilisationen“.

DOROTHEA HAHN