Ein Haus, geopfert für die Pflege

Die Kommunen sind pleite. Deshalb verlangen sie die Heimkosten von Pflegebedürftigen zunehmend von deren Kindern zurück. So wird die wachsende Pflegelast jetzt bei der Generation abgeladen, die selbst gerade ins Rentenalter kommt

VON ULRIKE WINKELMANN

In einem niedersächsischen Örtchen hat ein 41-Jähriger sich und sein Haus angezündet, weil das Sozialamt von ihm die Pflegekosten für die demente Mutter zurückhaben wollte. Er könne doch das Haus verkaufen, das seit 400 Jahren im Familienbesitz war. Vielleicht hatte der Mann noch andere Gründe für seine Verzweiflungstat. Doch rückt der Brand von Ende letzter Woche ein Grundsatzproblem des Sozialstaats ins öffentliche Bewusstsein: Wer zahlt für die Pflege und Betreuung altersgebrechlicher und verwirrter Menschen?

Es sind die Kommunen, deren Rückzug gegenwärtig diese Frage so brisant macht. Sie holen sich ihre „Hilfen zur Pflege“ – meist fünfstellige Summen – zunehmend von den Kindern der Pflegebedürftigen zurück. Welche Dramen zwischen den Angehörigen und den Sozialämtern toben, zeigt nicht nur der Brand von Einbeck. Auch eine Serie von Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2003 und 2004 illustriert, dass die Kommunen längst nicht mehr klaglos einspringen, wenn Rente und Pflegeversicherung nicht reichen.

Und dies ist immer häufiger der Fall. Die Pflegeversicherung – von Anfang an nach dem „Teilkasko“-Prinzip gestrickt – zahlt für die schwerste Pflegestufe 1.400 Euro. Die Durchschnittsrente beträgt 1.000 Euro. Heimplätze jedoch kosten längst mehr als 2.400 Euro. Zuständig sind laut Gesetz tatsächlich dann erst einmal die Kinder. Doch was, wenn die selbst bloß eine kleine Rente haben? Müssen sie dann ihr Haus versilbern?

Der BGH hat sich bisher vor allem dazu geäußert, wie viel die Kinder von ihren laufenden Einkommen abgeben müssen. So gelten 1.250 Euro im Monat als grundsätzlich geschützt. Zur Frage der Vermögensschonung wird im Herbst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwartet. Ob dies jedoch die Fronten zwischen Kommunen und Kindern klärt, ist fraglich. Der verhandelte Fall sei „schon sehr speziell“, heißt es im Karlsruher Gericht.

Es ist also nicht absehbar, ob die Last des steigenden Pflegebedarfs dauerhaft bei der Generation abgeladen wird, die gerade selbst ins Rentenalter einmündet. Der „Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge“ kündigt zum Juni Empfehlungen für die Kommunen an, wie und wann sich der Zugriff auf die Kinder lohnt. „Dann können die Kommunen ihre Prozesschancen besser ablesen“, erklärt Vereins-Jurist Gottfried Eichhoff.

Die Bundesregierung hat fürs Wahljahr 2006 eine Reform der Pflegeversicherung in Aussicht gestellt. Doch davon dürften allenfalls die Dementen ein wenig profitieren. Eine Erhöhung der Versicherungsbeiträge oder gar eine „Pflegesteuer“ ist in der Agenda-2010-Landschaft kaum vorstellbar. Die meisten Pflegepolitiker glauben immer noch, stärkere Anreize für die Pflege zu Haus („ambulant“) gegenüber der Pflege im Heim („stationär“) seien eine prima Sparidee. Doch die hat sich längst erübrigt: Um das Erbe zu sichern, werden alte Menschen inzwischen zu Haus behalten, bis gar nichts mehr geht. In den Heimen liegen fast nur noch Schwerstpflegefälle.