„Ich möchte kein Lokal mehr empfehlen müssen“

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Worin das Elend der Gastrokritikerin besteht

Eine gute Gastrokritik muss auch für die was bieten, die nie in das Lokal gehen werden

NATALIE TENBERG rezensierte seit Februar 2005 das Essen und die Gäste in 108 Berliner Restaurants und Cafés.

Es reicht. Mit den Restaurants, den Kantinen und den Bars. Was mit Beobachtungen im damals wegen Fußballmanipulationen in Verruf geratenen Café King in Charlottenburg begann, findet nun ein Ende. Nach knapp viereinhalb Jahren.

Das Leben als Gastrokritikerin hat selbstverständlich Vorteile. Man lernt die Stadt kennen, kommt rum und lässt sich in gastronomischer Hinsicht nicht mehr leicht blenden. Ein Kino sieht man in diesem Leben aber nur noch selten. Die Wohnung von Freunden auch nicht, und die kleinen Freuden beim Besuch des Stammlokals werden fremd. Stattdessen geht man mal in diesen Laden, mal in einen anderen, immer leicht angespannt, schließlich gibt es tausend Details, die beachtet und zu einer Geschichte zusammengefügt werden müssen.

Eine gute Gastrokritik nämlich sollte über eine reine Beschreibung der Speisen und Getränke hinausgehen, über eine Beurteilung des Service und der Location. Eine Gastrokritik sollte auch für all jene eine Geschichte bieten, die niemals in das besprochene Lokal gehen werden. Eine gute Gastrokritik sollte etwas über die Gesellschaft erzählen, die hier verkehrt. Die Lokale dienen als Folie für die Notizen aus unserer Zeit. Das war eine Herausforderung, die Spaß gemacht hat, wenn sie einen auch mitunter in deprimierend schlechte Restaurants und zu kleinen Feindschaften führte. Vor allem enttäuscht waren all jene, die ein Lokal in den höchsten Tönen lobten, und dann kamm es in der Gastro- und Gesellschaftskritik schlecht weg. Vielleicht war das Essen gut, der Laden aber prätentiös, voller nicht eingelöster Ambition.

Von alldem möchte ich jedenfalls nichts mehr wissen. Ich möchte auch kein Lokal mehr empfehlen müssen, für den Besuch der Eltern, für das erste Date, für einen lustigen Abend mit Freunden. Darin liegt nämlich das Elend des Gastrokritikers: Man kennt vieles, aber vieles auch schlecht. Woher soll man wissen, wie sich ein Lokal zwei Jahre nach der Kritik entwickelt hat? Eigentlich müsste man, um sich selbst gegenüber glaubwürdig zu bleiben, ständig unterwegs sein, um immer wieder die alten Annahmen zu überprüfen. Bin ich dazu bereit? Nein.

Ich brauche endlich wieder ein Stammlokal. Empfehlungen dazu nehme ich gerne an.