Freischwimmen im Sturm

THEATERNACHWUCHS Keine Angst vor theatralem Schiffbruch: Auf dem Theater-Festival „Havarie 2012“ zeigt der diesjährige Regiejahrgang der Theaterakademie Hamburg seine Diplominszenierungen

Theater begreifen die jungen Regisseure ausdrücklich als Ort der Konfrontation

VON ROBERT MATTHIES

Dass sich die Menschen in Jon Fosses Stücken immer wieder so verloren fühlen, hat auch damit zu tun, dass deren Autor an der norwegischen Westküste lebt. Düster und windig ist es da, immer wieder verschwinden Menschen im Meer und kehren nie wieder zurück. 1999 hat Fosse darüber ein Theaterstück geschrieben, „Ein Sommertag“: Ein junges Paar zieht an den Fjord. Ihn zieht die Unruhe immer wieder hinaus aufs Meer. Irgendwann fährt er trotz Sturmes hinaus und verschwindet. Immer wieder steht sie in den Jahren danach am Fenster, hält Ausschau nach ihm und sucht Erklärungen für den Verlust.

Babett Grube hat Fosse Stück für ihre Diplominszenierung an der Theaterakademie Hamburg ausgesucht. Morgen Abend ist ihr Stück zum Auftakt der Aufführungen des diesjährigen Regiejahrgangs auf Kampnagel zu sehen. Das passt, denn das kleine Nachwuchs-Festival steht dieses Jahr unter dem Motto „Havarie 2012“. Nicht, weil die jungen Regisseur_innen mit ihren Theaterentwürfen allesamt Schiffbruch zu erleiden befürchten. Sondern, weil sie Theater ausdrücklich als Ort der Konfrontation, der Havarien begreifen, einen Raum für Widersprüche eröffnen wollen. Wobei das Bild vom maritimen Schadensfall auch als Verweis auf die Unterschiedlichkeit des Jahrgangs gelesen werden soll: „scharfkantig, uneben, schroff“ sei der und davon geprägt seien seine Abschlussarbeiten.

Die orientieren sich dabei nicht nur an längst zu Klassikern avancierten Stücken, sondern versuchen vor allem eigene Wege zu gehen. Mit der Künstlergruppe Unkoordinierte Bewegung begibt sich etwa Matthias Mühlschlegel in seinem Stück „Die fliehenden Hafen oder Das schwarze Ei“ auf die Flucht. Gemeinsam wollen sie dem ziellosen Umherirren und der Illusion des immer Neuen, Kreativen, Flexiblen und Mobilen entkommen und andere Formen der Beweglichkeit finden.

Mit dem Imperativ dauernder Fluidität und kreativer Selbstverwirklichung setzt sich auch Lea Connert in ihrer Inszenierung von Tankred Dorsts Parzival auseinander. Felix Meyer-Christian wiederum inszeniert „Kohlhaas frei nach Kleist“, probt mit der costa compagnie den kritisch-berauschenden „kommenden Aufstand“ und spürt der Dialektik des Widerstands nach. Julia Dittrich schließlich hat sich Gertrude Steins „I am here Doctor Faustus“ angenommen und schickt vier Performer in den Raum zwischen genußvoller Selbstinszenierung und der drohenden Leere hinter den selbst geschaffenen Bildern.

■ Babett Grube: „Ein Sommertag“: Fr, 6. 1. bis So, 8. 1., 19.30 Uhr; Matthias Mühlschlegel: „Die fliehenden Hafen oder Das schwarze Ei“: Fr, 6. 1. bis So, 8. 1., 21 Uhr; Lea Connert: „Parzival“: Fr, 3. 2. bis So, 5. 2., 19.30 Uhr; Julia Dittrich: „I am here Doctor Faustus“: Fr, 10. 2. bis So, 12. 2., 19.30 Uhr; Felix Meyer-Christian: „Kohlhaas frei nach Kleist“: Fr, 17. 2. bis So, 19. 2., 19.30 Uhr; Kampnagel, Jarrestraße 20