Abgas gegen Engel

Der Reiz des Krächzens und Nuschelns: Joanna Newsom gibt im Tränenpalast sehr eindringlich die gute Harfenfee

Der letzte Auftritt von Joanna Newsom in Berlin liegt noch nicht lange zurück. Vor ein paar Monaten stellte sie bereits ihre Harfe auf die kleine Bühne des Café Zapata im Tacheles. Das Konzert war hoffnungslos ausverkauft, drinnen trat man sich gegenseitig auf die Füße und zog den Bauch ein. Das Konzert war dennoch wunderschön.

Innerhalb kürzester Zeit ist nun aus dem Mädchen mit der Harfe in der Kneipe die Künstlerin für gedämpfte Abendunterhaltung geworden. Das Publikum im Tränenpalast saß gepflegt an Tischen, und Joanna Newsom hätte auf der riesigen Bühne ein paar Runden joggen können. Es ist vermutlich eine Frage der Zeit, bis Newsom nur noch in Kirchen oder Konzertsälen auftritt. Dabei gehört sie dort nicht hin, hatte sie doch die verrauchte Kneipe davor bewahrt, als Harfenengel wahrgenommen zu werden, der sich mit Goldstaub einpudert. Im Tränenpalast wurde aus dem Mädchen mit den langen blonden Haaren und dem langen Kleid eine Harfen-Björk. Sie erschien wie eine gute Fee aus dem Märchenland.

Andererseits wurde in diesem Rahmen das Außergewöhnliche an diesem seltsamen neuen Popstar noch stärker unterstrichen. Wann setzt sich schließlich schon jemand alleine vor seine Harfe und trägt zu seinem ziemlich perfekten Spiel kauzige Songs vor? Joanna Newsom ist etwas Besonderes, keine Frage. Protegiert wurde sie von dem Waldschrat Will Oldham, und seit ihrer Platte „The milk eyed minder“ aus dem letzten Jahr gilt sie als Teil eines Folkrevivals.

Wäre Newsom, bevor sie zur Sensation wurde, bei einem Talentwettbewerb aufgetreten, hätten die Juroren zu ihr gesagt, die Nummer mit der Harfe sei ja ganz hübsch, doch das mit dem Singen solle sie doch lieber bleiben lassen. Newsom kann nicht singen, aber seit Bob Dylan wissen wir ja, dass auch Nuscheln und Krächzen seinen Reiz hat. Newsom weiß das auch. Gerade in diesem Zusammenspiel von virtuosem Harfengeklimper und offensichtlichem Nichtgesang liegt der Reiz ihrer Kunst.

Und doch, irgendjemand sollte ihr ihren Hang zum Salbungsvollen ausreden – ein wenig nämlich kam man sich beim Konzert vor wie auf einem christlichen Erweckungsabend. Irgendwann schwebte auch noch Newsoms Freundin mit der Querflöte in den Raum –natürlich barfuß. Nach dem Konzert tat es richtig gut, die Abgase eines vorbeifahrenden Busses einzuatmen. Die rochen nicht nach Jenseits, sondern nach Leben.

ANDREAS HARTMANN