Wie man einen Bunny zeichnet

CHOP-ART Ray Johnson galt als der „berühmteste unbekannte Künstler New Yorks“. Die Galerie Aurel Scheibler zeigt eine Ausstellung des frühen Pop-Avantgardisten, der seine Werke zu Lebzeiten nur ungern ausstellen ließ

Als Betrachter versinkt man förmlich in einer Welt von Anspielungen

VON KITO NEDO

Es ist nicht bekannt, ob der Künstler Ray Johnson unter Zuschreibungen wie „New York’s most famous unknown artist“ litt. Tatsache ist jedoch, dass Johnson stets im Schatten seiner berühmten Zeitgenossen und Künstlerfreunde wie James Rosenquist, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Cy Twombly oder Andy Warhol arbeitete. Auch eine posthume Retrospektive 1999 am New Yorker Whitney Museum änderte wenig an seinem Geheimtipp-Status.

Bis heute ist Johnsons Name nur einem kleinen Kreis von eingeschworenen Kennern geläufig. Und so hat die Ausstellung mit Mail-Art Johnsons aus den sechziger Jahren und Porträt-Collagen aus den siebziger, achtziger und neunziger Jahren, die gerade in der Berliner Galerie von Aurel Scheibler präsentiert wird, nicht nur etwas Spezialistisches.

Vielleicht sehen so eben kleine Wiedergutmachungen aus: Schließlich gibt die Schau Gelegenheit, einen der frühen amerikanischen Pop-Avantgardisten in Berlin zu entdecken. Die Schau belegt die Gnadenlosigkeit des Betriebs, in dem nicht nur Begabung und Fleiß zählen, sondern auch Momentum und eine gewisse Geschmeidigkeit und der Wille, über Beziehungen und Marktmechanismen die Öffentlichkeit zu suchen, für das eigene Fortkommen zu nutzen.

Die kleinteiligen Collagen, die in der Galerie an der Charlottenstraße zu sehen sind, machen schnell klar, warum Johnson oft mit den großen Avantgarde-Meistern der Collage, Max Ernst oder Kurt Schwitters, verglichen wird. In den gräulichen und bräunlichen Formaten schieben sich die Ebenen kunstvoll ineinander, tauchen Wörter und Silhouetten auf, entstehen neue Zusammenhänge durch bildnerische und schriftliche Mehrdeutigkeiten.

Als Betrachter versinkt man förmlich in einer Welt von Anspielungen auf Personen und Dinge mit dem Gefühl, nur die Hälfte zu begreifen. Offensichtlich versah der Künstler seine Werke gern mit genauen Anweisungen für den Empfänger, die seine Auffassung von Kunst als großes Kommunikationsspiel deutlich macht: „Dear Barbara Haskell, please send this Drawing of a Puck to Tom Armstrong; to present to Paul Cummings; then to David Hockney.“ (Untitled [To Tom Armstrong, To Paul Cummings], 1977).

In einem undatierten Warhol-Porträt wächst ein steifer männlicher Schwanz aus einer Brillo-Box empor, der auch einer Schlange ähnelt. Eine Anspielung auf Warhols Sexleben? Die Pop-Art als Sündenfall der Kunst? Ein platter Witz über den Großkünstler und das Marketing-Genie? Die möglichen Deutungen sind vielfältig.

Zu den schönsten Exponaten zählt eine Übermalung von 1959: In eine abstrakte Komposition von Sacha Kolin fügte Johnson treffsicher einen seiner Trademarks, einen roten „Bunny-Head“, einen Comic-artigen Hasenkopf ein. Es wirkt, als hätte genau diese Ergänzung gefehlt.

Ray Johnson hatte das Zeug, ein Star zu werden. Er machte progressive Kunst, war am richtigen Ort und kannte die richtigen Leute. Warum er es trotzdem nicht wurde, gehört zu den Rätseln der Kunstgeschichte. Bevor er 1948 nach New York zog, hatte der Künstler drei Jahre am renommierten Black Montain College in North Carolina studiert. Mit seinem gesamtheitlichen Ansatz und Dozenten wie John Cage, Josef Albers und Merce Cunningham gilt die bis 1957 existierende Schule heute als die amerikanische Version des Bauhauses.

Anfangs malte Johnson abstrakt, doch schon Mitte der fünfziger Jahre, als der amerikanische Kunstmarkt noch fest in der Hand der abstrakten Expressionisten war, begann der 1927 in Detroit geborene Künstler sich in Collagen und Übermalungen an der aufkommenden Popkultur abzuarbeiten. Zu seinen berühmtesten Bildern aus dieser Zeit zählt ein Elvis-Porträt von 1956, das den King als blutweinende Popikone zeigt, oder das im darauf folgenden Jahr entstandene James-Dean-Porträt. Johnson klebte links und rechts von Deans Gesicht zwei Lucky-Strike-Scheiben wie Mickey-Mouse-Ohren.

Manchen Leuten gilt Johnson wegen seiner Zeitgeist-Sensibilität gegenüber der Massenkultur und seinem Experimentierwillen als Erfinder der Pop-Art, der aufgrund seiner Eigenwilligkeiten später nie die höheren Weihen des Marktes erfuhr. Das lag auch an der Widerspenstigkeit des Künstlers selbst, der wohlmeinende Bescheidwisser gerne mit den Worten niederbürstete, er mache keine Pop-Art, sondern „Chop-Art“.

Es war zudem schwierig, ihn zu Ausstellungen zu bewegen: „Während seine Werke jetzt überall auf der Welt in Ausstellungen zu sehen sind, hat Johnson zu Lebzeiten viele Anstrengungen vereitelt, seine Werke auszustellen“, schreibt der Kurator und Kunsthistoriker Charles Stuckey in der Katalog-Broschüre. Die Zurückhaltung gegenüber den Sichtbarkeits-Imperativen des Kunstbetriebs wollte oder konnte er wohl nie so recht abschütteln.

Als Pop-Art Anfang der Sechziger schließlich kanonisch wurde, war Johnson mit Performances beschäftigt, die er „nothings“ nannte. Gemeinsam mit der befreundeten Performancekünstlerin Dorothy Podber machte er die Straßen von Manhattan unsicher. Podber ging 1964 vor allem wegen eines Happenings in die Geschichte ein, als sie in Andy Warhols Factory einen Pistolenschuss auf einen Stapel Marilyn-Siebdrucke abfeuerte und so die „The Shot Marilyns“ produzierte: Warhol erteilte ihr Hausverbot.

Seine Collagen, für deren Herstellung er sich der Ende der fünfziger Jahre eingeführten Büro-Kopiermaschinen bediente, brachte Johnson da schon als Briefsendungen unter die Leute. Weil er ungern in Galerien ausstellte, aber dennoch in der New Yorker Kunstszene präsent war, blieb es vielen Leuten bis zuletzt schleierhaft, was der Künstler eigentlich genau machte. Als Mail-Art-Aktivist der „New York Correspondance School“ spannte er in den Sechzigern und Siebzigern ein Netz von Korrespondenzen, die in einer Art diskreter Öffentlichkeit stattfanden. Das Kauzige zieht sich durch das ganze Künstlerleben, bis hin zu seinem mysteriösen Tod im Januar 1995, als man seine im Wasser treibende Leiche in der kleinen Bucht von Sag Harbor auf Long Island fand.

Exakt ein Viertel herausgeschnitten

Bis heute lässt sich von diesem Künstler viel lernen – etwa wie man mit Sammlern verfährt, die fortwährend die Preise drücken. In der 2002 veröffentlichten Filmdokumentation „How to draw a Bunny“ erinnert sich sein Freund und Kollege, der holländische Künstler Peter Schuyff, an solch eine typische Johnson-Lektion. Schuyff wollte Johnson eine seiner kreisrunden Andy-Warhol-Porträt-Collagen abkaufen und feilschte um den Preis. Johnson verlangte 2.000 Dollar, Schuyff bot ihm 1.500, was Johnson scheinbar akzeptierte.

Scheinbar. Denn als das Bild bei Schuyff schließlich eingetroffen war, fehlte exakt ein Viertel: Johnson hatte das Äquivalent von 500 Dollar einfach aus seiner Collage herausgeschnitten. An Selbstbewusstsein mangelte es dem „berühmtesten unbekannten Künstler New Yorks“ nicht.

■ Ray Johnson, bis 31. März, Galerie Aurel Scheibler