Saubermänner hauen auf den Putz

Im Roten Rathaus findet heute der 1. Internationale Anti-Graffiti-Kongress statt. Organisiert wird er von der Initiative nofitti, deren Mitglieder ansonsten Denkmäler und Spielplätze putzen. 1.700 Sprayer kennt die Polizei in Berlin

Die Graffiti-Gegner machen mobil. Auf Betreiben der Bürgerinitiative nofitti findet heute im Roten Rathaus der 1. Internationale Anti-Graffiti-Kongress statt. Schirmherr der Veranstaltung ist der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). „Wir können uns diesen Vandalismus nicht mehr leisten“, sagt der Vorsitzende von nofitti, Karl Hennig. Er fordert ein schärferes Vorgehen gegen Sprayer. Denn jedes Jahr koste die Beseitigung von Farbschmierereien in Berlin 50 Millionen Euro.

Nofitti existiert seit 1994. Ehrenamtliche Helfer reinigen regelmäßig in ganz Berlin 15 Spielplätze, ebenso viele Denkmäler und eine Kindertagesstätte. Das Putzmittel wird von Sponsoren – zumeist Reinigungsfirmen! – zur Verfügung gestellt. Mit dem Kongress wagen sich die Saubermänner erstmals auf politisches Parkett. Anfang der 90er-Jahre habe sich in Berlin kaum jemand über Graffiti aufgeregt. Inzwischen sei die Stimmung aber umgeschlagen, will Hennig festgestellt haben. Sein Ziel: Verhältnisse wie in Skandinavien schaffen, wo Graffiti sofort entfernt und die Täter strenger verfolgt werden. In Deutschland ist Sprayen nur dann als Straftat – und keine einfache Sachbeschädigung –, wenn die Gebäudesubstanz durch die Farbe oder das Reinigungsmittel beschädigt wird. Für den Nachweis braucht man aber aufwändige Gutachten.

Die Bundestagsfraktionen von SPD, CDU und FDP planen schon lange eine Verschärfung des Gesetzes, um die Verfolgung der Sprayer zu vereinfachen. Auch Klaus Wowereit und Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) sind dafür. Dass das Vorhaben bislang nicht umgesetzt wurde, liegt am Widerstand der Bundesgrünen. „Alle Experten sind sich einig, dass eine Gesetzesverschärfung nichts bringt“, so der grüne Sicherheitspolitiker Christian Ströbele zur taz.

Seinem Ruf als Hauptstadt der Sprayer macht Berlin alle Ehre. Die 1994 von Polizei und Bundesgrenzschutz eingerichtete Ermittlungsgruppe „Graffiti“ registriert einen Anstieg der Fälle: 2004 wurden rund 10.000 Strafanzeigen erstattet, 10 Prozent mehr als 2003. Der Trend scheint sich 2005 fortzusetzen: Die mit der Reinigung von S-Bahn-Anlagen befasste Firma Noack & Co. gab zu Protokoll, man habe in diesem Jahr bereits 23.000 Quadratmeter Fläche gereinigt, während es 2004 insgesamt lediglich 46.000 Quadratmeter waren.

Das heutige Treffen könnte – ironischerweise – indirekt diese Entwicklung verstärken: Der Inspektionsleiter der Graffiti-Ermittlungsgruppe, Mario Hein, hält es für denkbar, dass der nofitti-Kongress als Ansporn verstanden werde, verstärkt zur Spraydose zu greifen. 1.700 derzeit aktive Sprayer haben Hein und seine Leute ermittelt, 80 Prozent sind zwischen 14 und 20 Jahren alt, 99 Prozent männlich, 95 Prozent haben die deutsche Staatsbürgerschaft; ob mit oder ohne Migrationshintergrund, wird nicht erfasst.

„Legale Flächen sind verpönt“, weiß Hein, und: Je riskanter, desto besser. Darum seien Bahnanlagen so beliebt. Die Frage, ob Graffiti Kunst ist, habe ihn nicht zu interessieren, sagt der Kriminaloberrat. Vielfach geht es seiner Ansicht nach aber nur darum, „Duftmarken zu setzen“ und Claims (Gebiete) abzustecken.

Früher habe ein Ehrenkodex vorgeherrscht: Andere „tags“ werden nicht übersprüht. Das sei inzwischen überholt. Auch beobachte er eine zunehmende Gewalttätigkeit der Szene, die sich nicht nur gegen etwaiges Wachpersonal richte, sondern auch gegen andere Crews (Sprayergruppen). Bei der Bevölkerung „erlahmt“ der Widerstand gegen Graffiti, hat Hein festgestellt. Es werde weniger gereinigt, Anzeigen würden seltener erstattet: „Man resigniert und findet sich damit ab.“ PLUTONIA PLARRE