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: Sieg der Vernunft über die Herzen

Erstmals in der Geschichte des Irak wurde ein Kurde Präsident des Landes. Das ist umso bemerkenswerter, als Dschalal Talabani nicht irgend ein Alibi-Kurde ist, sondern ein Guerillero und Politiker, der sein Leben lang für die Rechte der kurdischen Minderheit im Irak gekämpft hat – vordergründig für mehr Autonomie im irakischen Staat. Im Herzen aber, wie alle kurdischen Politiker, für einen eigenen Staat.

KOMMENTARVON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Talabani ist mit allen Wassern gewaschen. Die Allianzen und Bündnisse, die er im Laufe seiner Karriere geschlossen und wieder verraten hat, wird er kaum noch vollzählig erinnern. Seine Erfahrungen sind der Vorteil und gleichzeitig das Problem des neuen Präsidenten. Der Chef der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) symbolisiert keinen neuen Anfang im Irak. Dass er Präsident des Irak geworden ist, verdankt er nicht den irakischen Wählern, sondern den USA und dem Interessenausgleich zwischen ihm und seinem kurdischen Dauerkonkurrenten Massud Barzani.

Trotzdem liegt in der Wahl Talabanis eine Chance. Mehr als Massud Barzani, der lieber heute als morgen seinen eigenen Staat ausrufen würde, sieht Talabani Chancen auch in einem föderalen Irak, an dessen Reichtümern die Kurden angemessen beteiligt sind. Der Städter Talabani ist weltoffener und auf dem diplomatischen Parkett erfahrener als der Provinzler aus den Bergen, der Chef der Demokratischen Partei, Massud Barzani. Insofern ist er für alle, die auf den Erhalt des heutigen Irak hoffen, die bessere Wahl.

Doch weil er sein Amt ausdrücklich als Kurde erhielt, wird er es schwer haben, Präsident aller Iraker zu werden. Selbst wenn er das aus eigener Überzeugung anstreben sollte. An den kommenden Verhandlungen um die Verfassung des Landes nimmt er als kurdischer Interessenvertreter teil. Die Forderungen der Kurden liegen wie Felsbrocken auf dem Tisch: Kirkuk als Hauptstadt der zukünftigen autonomen Provinz, ein fester Prozentsatz der Öleinnahmen für die Kurden und der Bestand der Peschmerga als eigenständige Streitkräfte, die nicht in die nationale Armee eingegliedert werden.

Sollte Talabani diese Forderungen in der zukünftigen Verfassung durchsetzen, wird er kaum die Herzen der restlichen Iraker erobern. So bleibt die Frage, ob die jetzige Politik, alle wichtigen politischen Ämter nach ethnischem Proporz zu besetzen, den Zusammenhalt des Landes langfristig nicht eher zerstört, als ihn neu zu begründen.