Linke Geisterfahrer

Im Hamburger Institut für Sozialforschung werden gerade gerne die Denkmäler der linken Geschichtsschreibung von ihren hohen Sockeln herunter geholt. Eine Art von Exorzismus. Während noch die Dutschke-Debatte tobt, wird jetzt mal wieder beim Ex-KPDler Herbert Wehner nachgeschaut

Die Idole und falschen Begriffe sind derzeit so tief im menschlichen Geist verankert, dass die Wahrheit kaum in ihn eindringen kann, und selbst dann werden sie uns noch bei der Errichtung der Wissenschaft verwirren (Francis Bacon, Novum Organum, 1620)

Am Anfang der Wissenschaft steht die Zerstörung der Idole. Doch so schnell sind die Idole nicht totzukriegen. Sie widersetzen sich der Aufklärung, schillern und leuchten verführerisch: Che Guevara. Andreas Baader. Rudi Dutschke.

Immer, wenn es in den letzten Jahren um die Gallionsfiguren der Linken ging, war das Hamburger Institut für Sozialforschung dabei. Auf dem Generalshügel im Hintergrund: Jan Philipp Reemtsma, Millionenerbe, Institutsgründer und -direktor. Oft an vorderster Front: Wolfgang Kraushaar, Historiker und Mitarbeiter des Instituts.

Kraushaar ist Spezialist für linke Mythendestruktion. Sein Beitrag zu dem Bändchen „Rudi Dutschke Andreas Baader und die RAF“ wird noch immer, Monate nach seinem Erscheinen, in der taz hoch und runter diskutiert. Dutschke, legt Kraushaar nahe, habe mehr mit der RAF zu tun gehabt, als den Linken lieb ist. Außer über Dutschke hat Kraushaar Bücher über „1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur“, „Linke Geisterfahrer“ und „Fischer in Frankfurt“ geschrieben – letzteres unter besonderer Berücksichtigung des Häuserkampfes.

Was ist los mit dem Hamburger Institut? Als es zuletzt von sich reden machte, ging es um die Wehrmachtsausstellung. Das war der Versuch, die Nazi-Eltern nicht davonkommen zu lassen, die Verbrechen auch der einfachen Soldaten zu dokumentieren. Wozu jetzt diese verbissene Auseinandersetzung mit der linken bundesrepublikanischen Tradition?

„Ich verstehe die Frage nicht“, sagt die Pressesprecherin des Hamburger Instituts, Regine Klose-Wolf. Die Frage war: „Ist das Institut gerade dabei, linke Denkmäler zu demontieren?“ Eigentlich keine schwere Frage. Aber, sagt Klose-Wolf: „Wir sind ein wissenschaftliches Institut.“ Wer würde das bezweifeln?

Reemtsmas Wissenschaftler forschen im Hamburger Stadtteil Pöseldorf vor sich hin. Manchmal ist die Öffentlichkeit zugelassen, zu den „Institutsmontagen“ zum Beispiel. Themen derzeit: „Im Schatten der RAF. Zur Entstehung der Revolutionären Zellen“. „Die japanische Rote Armee“. Und, ein Vortrag von Reemtsma: „Was heißt es, die Geschichte der RAF zu verstehen?“ Es geht um die internationale Vernetzung der RAF, und die lief über die Ausbildungslager der PLO. Wer aber PLO sagt, sagt nicht Israel: Die Konfliktlinien sind vorgezeichnet.

So betreibt das Hamburger Institut einen linken Exorzismus. Doch je mehr es die Geister bannen will, desto näher rücken sie. „Vor ihnen liegt ein entsetzlich verstümmelter Körper in einer Blutlache. Es ist die Leiche eines Mannes, die zusammengekrümmt auf dem Rücken liegt. Am Brustkorb und in der Bauchgegend klaffen Wunden.“ So schreibt Wolfgang Kraushaar in der institutseigenen Zeitschrift „Mittelweg 36“ über den italienischen Verleger und Dutschke-Freund Giangiacomo Feltrinelli, der 1972 durch seinen eigenen Sprengstoff ums Leben kam.

„Am Brustkorb klaffen Wunden“: Das ist die Sprache der Heiligenlegenden, die Wunde am Bauch erinnert an Christus am Kreuz. Es ist wie bei den Priestern der katholischen Kirche, die für den Exorzismus zuständig sind. Wer den Teufel austreiben will, muss an ihn glauben – wenigstens ein bisschen. Daniel Wiese