Wie es gewesen ist

Von Kindheit, Jugend und Musikerkollegen: Ulla Meinecke stellte ihr autobiografisches Buch „Im Augenblick“ vor

Über zehn Alben hat Ulla Meinecke seit 1979 veröffentlicht, da wurde es natürlich höchste Zeit für das erste Buch. „Im Augenblick“ ist nun beim Berliner Verlag Schwartzkopf und Schwartzkopf erschienen. „Texte, Fotografien, Bühnengeschichten“, heißt es im Untertitel, und am Mittwochnachmittag gab es die Buchpräsentation bei Hugendubel am Tauentzien.

Es ist nicht die große, glamouröse Veranstaltung, hier im ersten Stock der Buchhandlung an einem leidlich sonnigen Frühlingstag. Man macht noch Soundcheck, gestapelte Stühle werden angekarrt. Im Laden umherstreifende Touristen zeigen sich hocherfreut über das unerwartete, kostenlose Kulturangebot, aber auch echte Fans, darunter einige schwule Pärchen, sind gekommen. Die Schlange am Kaffeestand wird länger, Fotografen bauen Stative auf, eine resolute Mitfünfzigerin am Nebentisch korrigiert Klassenarbeiten.

So sitzt man da und sinniert über Westberlin, den viel geschmähten Ku’damm – wenn für das Schreckbild der Wilmersdorfer Witwe eine Nachfolgerin gesucht wird, könnte es die Charlottenburger Lehrerin sein? Dann kommt Ulla Meinecke im schwarzen Damenanzug mit Goldstickerei am Ärmel barfuß auf die kleine Bühne. Ihr Gitarrist trägt Jeans, Hemd, Lederkappe und John-Lennon-Brille: die Berufsuniform der vor 1960 geborenen Gitarristen.

„Wenn zwei zueinander passen“, singen sie. Dann nimmt sie am Tisch Platz, leitet durch ihr Buch, liest vor und erklärt. Die Erzählung beginnt in der frühen Jugend. Das junge Mädchen Ulla M. spielt zuerst Gitarre, weil Musikerjungs aber schon damals lieber unter sich waren, findet sie keinen Anschluss an die Schülerband. Musikalisch sozialisiert durch die Rolling Stones und Jimi Hendrix, lässt sie die Zuhörer an der großen Faszination angloamerikanischer Musik teilhaben, und anders als bei vielen jüngeren Kollegen kommen bei ihr keine Plattitüden über „deutsche Texte“ und Musik, die man „verstehen soll“.

Ulla Meinecke erzählt von Kindheit und Jugend in den 50ern und 60ern, als Nazilehrer noch das Sagen hatten, sie erzählt von der Auseinandersetzung mit Faschismus und Holocaust, dem unbeirrt störrischen Nachfragen dieser Generation. Dankenswerterweise hat sie alles zu Intime, die Irrungen und Wirrungen der Liebe aus dem Buch herausgehalten. Angenehm nüchtern erfährt man aber auch einiges Interessantes: Wie Udo Lindenberg als Chef ist, wie es früher in Westberlin war – das Quartier Latin, die Konzerte im Kant Kino, das Quasimodo, die Kollegen von Spliff, Anette Humpe, Manfred Maurenbrecher.

„Im Augenblick“ ist mit den vielen Fotos (oft von Jim Rakete) und Songtexten in erster Linie für Fans der Sängerin interessant. Aber die Schilderung ihrer Laufbahn vermittelt durchaus Alltagsgeschichte und Zeitgeist. Das Kapitel „Traurige Erfahrungen mit der Musikindustrie“ darf natürlich in keiner Musikerbiografie fehlen, doch Meinecke vermeidet alle Weinerlichkeit. Im Gegenteil, es ist richtig lustig, wie sich die Mischung aus Großspurigkeit und Provinzialität bei Sony Music in Frankfurt sprachlich im Gemisch aus Hessisch und Branchenenglisch manifestierte: „Mir habbe schon viele Artist komme un' gehe sehe“, oder „Also wißter am Approach von dem Act müsse mer nochemal ran“ zitiert sie ihre ehemaligen A-&-R-Leute und Product Manager. Eher langweilig wird es, wenn sie die Charakterzüge, Bekleidungsvorlieben und sportlichen Aktivitäten ihrer Musiker ausführlich beschreibt.

Die Glocken der zertümmerten Gedächtniskirche läuten um sechs, Ulla Meinecke singt noch „In Berlin“, dann wird Sekt ausgeschenkt und signiert. Es war keine glamouröse Veranstaltung, aber die Person „Ulla Meinecke“ ist doch ein bisschen näher gekommen, und sie ist sympathischer, als man dachte.

CHRISTIANE RÖSINGER