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An den Rändern des HipHop und der elektronischen Musik entdecken Produzenten den ästhetischen Extremismus von Black und Death Metal. Mit keinem anderen Sound lässt sich Musik vergleichbar radikal gegen Vereinnahmung imprägnieren

Metal, der Repräsentant von größtmöglichem Stumpfsinn, befreit die elektronische Musik von ihrer Kunstbeflissenheit

Von ANDREAS HARTMANN

Als beim diesjährigen Medienkunstfestival „Transmediale“ in Berlin die Band Kill aus Norwegen die Bühne betrat, wusste noch kaum jemand, was ihn erwarten würde. Eines der Mitglieder von Kill spielt bei der Indierockband Motorpsycho mit, konnte man erfahren, eine Platte gäbe es jedoch noch nicht. Was dann kam, kam gewaltig: Kill spielten eine Art frei improvisierten Death Metal, waren brutal, gemein und der Sänger sang nicht, sondern grunzte. Und das auf einem Festival, das sich bislang fast ausschließlich der elektronischen Musik widmete.

Der Auftritt erschien wie die Befreiung aus dieser weihevollen Kunstblase, in der sich elektronische Musik heute mitunter gerne selbst verortet. Innerhalb des Transmediale-Kontextes setzte der Auftritt von Kill ein Zeichen: Metal, dieser Repräsentant von größtmöglichem Stumpfsinn, Ungezähmtheit, Brutalität und Unzugänglichkeit, sollte dafür sorgen, dass sich das Happening der elektronischen Musik von seinem Kunstbeflissenheits-Korsett selbst befreite.

Die Verbindung von extremem Metal und elektronischer Musik gibt es schon länger. Doch sie hatte es bislang schwer, eine Öffentlichkeit jenseits eines Spezialistenpublikums zu finden - was vor allem am beidseitigen Unverständnis gegenüber dem jeweils anderen Genre liegt. Elektronische Musik versteht sich schließlich dezidiert als Abkehr von Gitarren und sinnlosen Rockposen, und nirgendwo gibt es nun mal so viel Gitarre pro Songminute und so dermaßen sinnlose Rockposen wie im Metal. Umgekehrt ist für weite Teile der Metalszene nur handgemachte Musik echte Musik. Und nur wer beherzt in die Saiten greift oder in abartiger Taktgeschwindigkeit auf Schlagzeugfelle einzuklopfen vermag, gilt als echter Kerl.

So kommt es, dass Platten von Bands wie Abruptum aus Schweden oder Ulver aus Norwegen von keiner Seite angemessen rezipiert werden. Ulver gelten immer noch als Black-Metal-Band, dabei machen sie längst elektronische Musik, wie sie auch auf lupenreinen Elektroniklabels erscheint. Auch bei Abruptums heftigen Soundcollagen lässt sich zumindest musikalisch ein Bezug zu klassischem Black Metal nur noch in Plattentiteln wie „Casus Luciferi“ finden. Oder darin, dass man sich zumindest vorstellen kann, dieses seltsame Gebrummel und Geröchel entstamme tatsächlich field recordings direkt aus der Hölle.

Vom herkömmlichen Popdiskurs wird Metal als vermeintlich ausschließlich wertkonservative Spielart gar nicht mehr wahrgenommen. Tatsächlich bewegen sich Hardrock und Heavy Metal kein Stück von der Stelle und man kann getrost einen Monatslohn darauf setzen, exakt die Stelle erraten zu können, wann bei einem Iron-Maiden-Song das Gitarrensolo einsetzt.

Extremer Metal dagegen ist derzeit in seine vielleicht experimentierfreudigsten Phase überhaupt eingetreten, während er gleichzeitig – glücklicherweise in einer von seinem idiotischsten ideologischen Brimborium, etwa von Bekenntnisen zum Faschismus entschlackten Form – den Sound und die Ästhetik anderer Genres prägt und beeinflusst. So gibt der japanische Noise-Zeremonienmeister Masami Akita an, von Black- und Death-Metal-Platten die hemmungslose Energie für seine eigene Musik zu beziehen. Das von bekennenden Metal-Fans betriebene einflussreiche Wiener Elektroniklabel Mego versucht schon seit längerem, das Abgründige und Radikale des Black Metal mit dem Laptop neu umzusetzen. Und Reinhold Friedl vom international renommierten Berliner Avantgarde-Orchester Zeitkratzer ist stolz darauf, diesen Sommer nicht nur eine Hommage an Arnold Schönberg in Wien und Berlin aufzuführen, sondern jüngst auch Deicides Stück „Satan’s Spawn“ gecovert zu haben.

Selbst in den HipHop hat extremer Metal inzwischen Einzug gehalten. Schon RunDMC reicherten Mitte der Achtziger ihre Nummer „Walk this way“ mit den Hardrockgitarren von Aerosmith an, woraus dann der so genannte Crossover-Sound entstand, der immer noch Erfolge feiert. Zuletzt landeten Limp Bizkit zusammen mit Jay-Z einen Crossover-Hit. Doch der amerikanische HipHop-Produzent Necro geht seit einiger Zeit auf seinem Label Psychological einen entscheidenden Schritt weiter. Ihm dienen harte Gitarren nicht mehr nur dazu, seinen HipHop-Sound ein wenig zu verfetten, sondern er überträgt gleich die gesamte absurde Death-Metal-Ästhetik, die sich aus Themen wie Nekrophilie bis hin zu detailreichen forensischen Abhandlungen speist, auf seinen HipHop. Auf Psychological-Nummern wird man nicht nur einfach abgeknallt wie im Gangsta-Rap, sondern auch ausführlichst zerstückelt oder abgeschlachtet. Das gipfelt dann darin, dass auf Necros letzter Platte die Jungs der Death-Metal-Bands Obituary und Brutal Truth mit von der Partie sind.

Hinter dem Antrieb, sich von extremem Metal beeinflussen zu lassen, steckt immer dasselbe Bestreben: die eigene Kunst zu radikalisieren und sich durch das Bekenntnis zum subkulturellen Bodensatz gegen kulturindustrielle Gleichförmigkeit zu imprägnieren. Schon John Zorn gab sich Anfang der Neunziger von Grindcore beeinflusst und reüssierte mit der Losung: Jazz- Snobs, eat shit. Harmony Korine unterlegte seinen Underground-Arthouse-Film „Gummo“ komplett mit Black Metal der übelsten Sorte, was dem Film eine zusätzliche Note Verstörtheit verlieh. Auch Künstler wie Matthew Barney, Olaf Breuning und selbst der Leipziger-Schule-Shooting-Star und Nymphchenmaler Martin Eder haben sich in ihren Arbeiten immer wieder einer Death- und Black-Metal-Ästhetik bedient, um bloß nicht von allen nur geliebt zu werden.

In jahrelanger Arbeit an der Selbsterfindung haben Protagonisten des Death- und Black-Metal nichts anderes getan, als sich selbst als Ausgestoßene der Gesellschaft zu inszenieren, die von MTV bis hin zu ihren eigenen Eltern alles um sie herum verabscheuungswürdig finden, dafür teilweise Goebbels und Himmler umso knuffiger. Dieser extremen Randständigkeit einer ganzen Subkultur und dieses sich aus einem undurchdringlichen Zeichenwirrwarr speisenden (anti)kulturellen Extremismus bedient man sich nun einfach, um seinen eigenen HipHop, seine elektronische Musik oder seine Kunst ein wenig undurchdringlicher erscheinen zu lassen.

Umgekehrt läuft das Spiel ähnlich. Extremer Metal funktioniert zu großen Teilen nach einer Krassheits-Potenzierungs-Logik, die meistens albern, schlimmstenfalls erschreckend wirkt. In einer Anzeige des Metal-Magazins Terrorizer etwa versucht die Band Black Witchery klar zu machen, mit ihrer Platte mal wieder echt den Vogel abgeschossen zu haben. „Extreme blackdeathspeed holocaust metal“ würde einen hier erwarten, schreibt ihre Plattenfirma. Das Problem ist nur, dass in dem Magazin all die anderen Bands mit einem ähnlichen Superlativ-Gestammel angepriesen werden. Wer soll da auf derartige Anpreisungen noch hereinfallen?

Letztlich viel verstörender wirkt da im Szene-Kontext eine Platte wie Ulvers „Lyckantropen Themes“, die in ihrer gesamten Erscheinungsform nichts mehr mit den Bestrebungen des Black Metal, wieder einmal die übelste Platte aller Zeiten vorgelegt zu haben, zu tun haben möchte. Statt dessen wird sämtlichen Black-Metal-Klischees eine Absage erteilt. Noch sind Bands wie Ulver, die sich auch von bekannten Elektronik-Acts wie Pita oder Christia Fennesz remixen ließen, eine Ausnahmeerscheinung. Doch auch andere Extrem-Metaller öffnen sich anderen Soundmodellen. So gurgelt auf der aktuellen Platte der Experimental-Band SunnO))) auf einer Nummer Attila Csihar von Mayem und der ehemalige Gitarrist von Burzum, Snorre Ruch, ließ sich, auf dessen ausdrückliche Genehmigung, vom norwegischen Extremelektroniker Lasse Marhaug für dessen letzte Platte sampeln.

Ein etwas anders gelagerter Fall dagegen sind die neueren Platten von Burzum selbst. Seit Burzum-Sänger Varg Vikernes seinen Kollegen Euronymous von der norwegischen Band Mayem erstochen hat, genießen Burzum ewigen Kultstatus. Vikernes ist bekennender Neonazi und Anführer einer Bewegung, die sich ganz offen zum Faschismus bekennt und sich deswegen NSBM, Nationalsozialistischer Black Metal, nennt. Als Ein-Mann-Band veröffentlicht Vikernes regelmäßig aus dem norwegischen Gefängnis heraus weiter Platten. Aufgenommen werden sie mit dem Gefängnis-Synthesizer, witzelt man in der Szene, und wahrscheinlich stimmt das sogar. Vikernes verkauft nun sein komplett rhythmusfreies düsteres Georgel als den wahren Black Metal und will so das Genre mit dem Authentizitätsbonus des auch strafrechtlich anerkannten Misanthropen erneuern. Seine Musik habe sich endlich von den Wurzeln des Rock ’n’ Roll, der „Niggermusik“ befreit, gibt Vikernes an.

Der Mann ist der hinterletzte Rassist und Antisemit. Doch man muss es wohl so hinnehmen, dass auch einem kranken Gehirn aus einer verabscheuungswürdigen Motivation heraus ein paar interessante musikalische Ideen entspringen können.

Erwähnte Platten: Abruptum: „Casus Luciferi“ (Regain); Lasse Marhaug: „The Shape of Rock To Come“ (Smalltown Supersound); Necro: „The Pre-Fix For Death“ (Psychological/ Groove Attack); SunnO))): „White 2“ (Southern Lord). Etwas älter (2002): Ulver: „Lyckantropen Themes“ (Jester)