Angsterfüllte Busfahrt der Hoffnung

In Kaschmir fährt bei der ersten Busfahrt über die Waffenstillstandslinie seit 57 Jahren die Hoffnung auf Frieden mit, doch die Angst vor Anschlägen ist mindestens genauso groß. Indiens Premier Singh lobt Mut von Pakistans Präsident Musharraf

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Die drei Busse, die sich gestern mit insgesamt 51 Passagieren in beiden Teilen Kaschmirs in Bewegung gesetzt haben, gehen zweifellos in die Geschichtsbücher Indiens und Pakistans ein. Kurz vor elf Uhr begannen zwei indische Kleinbusse ihre Fahrt in Srinagar, um 21 Passagiere zur Waffenstillstandslinie zu bringen. Dort erwartete sie ein pakistanischer Bus nach Muzaffarabad, den Hauptort des pakistanischen Teils von Kaschmir. Dieser Bus hatte kurz zuvor 30 Pakistaner zur „Brücke des Friedens“ gebracht, wo sie ihrerseits die Fahrt in indischen Bussen nach Srinagar fortsetzten, eine Reise von insgesamt 127 Kilometern. In zwei Wochen geht es zurück.

Es waren gewöhnliche Leute mit Verwandten im anderen Teil Kaschmirs, die aus hunderten Bewerbern ausgewählt worden waren, um die Wiederaufnahme zwischenmenschlicher Kontakte und die Annäherung der verfeindeten Nachbarn zu feiern.

Die Brücke war im ersten Nachbarschaftskrieg von 1948 zerstört worden. Sie wurde in den letzten sechs Wochen in aller Eile für den Fußgängerverkehr instand gesetzt, nachdem sich beide Seiten im Februar auf eine Grenzöffnung geeinigt hatten. Die Brücke liegt im Tal des Jhelum-Flusses, der einzigen Verbindung aus Pakistan ins Tal von Srinagar. Bis vor kurzem war die Gegend mit Minenfeldern, Bunkern und Geschütznestern übersät. Das kleine Dorf Salamabad auf der indischen Seite, wegen seiner exponierten Lage sonst von der Außenwelt abgeschnitten, stand gestern plötzlich im Scheinwerferlicht, als sich beide Reisegruppen dort zu einem verspäteten Mittagsimbiss trafen.

Die Pakistaner waren kurz zuvor vom Ministerpräsidenten des indischen Staats Jammu & Kaschmir an der Brücke mit Girlanden und den Fanfaren einer Armeekapelle empfangen worden. Sie sind, ebenso wie auch die indische Reisegruppe in Pakistan, in den nächsten zwei Wochen Gäste der Regierung.

Dies ist nicht nur eine Geste der Freundschaft, sondern auch Ausdruck der großen Sorgen um die Sicherheit der Passagiere. Eine Reihe von Untergrundorganisationen sehen in der Öffnung der Waffenstillstandslinie einen Verrat von Pakistans Machthaber Pervez Musharraf an der Sache eines pakistanischen Großkaschmirs. Die Warnungen an die Adresse der Passagiere, den „fahrenden Sarg“ nicht zu besteigen, hatten sich in den letzten Tagen gehäuft. Das überwältigende Interesse an einer Fahrt ließ merklich nach, und namentlich Politiker bekamen kalte Füße. Die ausgewählten 29 indischen Passagiere wurden schon vor drei Tagen in ein Gästehaus der Regierung gebracht und scharf bewacht.

Wie gefährdet sie waren, zeigte sich am Mittwoch, als zwei Selbstmordschützen in das Gästehaus in Srinagar eindrangen und nach einem Feuergefecht erschossen wurden. Die Passagiere blieben unverletzt, doch das Gebäude ging in Flammen auf.

Indiens Premierminister Manmohan Singh und Kongresspräsidentin Sonia Gandhi waren gestern dennoch zur Stelle, um – nur einige hundert Meter vom Tatort entfernt – die beiden Busse auf ihre historische Fahrt zu senden. Statt die Urheber des Attentatsversuchs, wie früher üblich, bei Pakistans Regierung zu suchen, lobte Singh den Mut von Präsident Musharraf, sich gegen die Radikalen in den eigenen Reihen für eine Grenzöffnung durchzusetzen. Die Angst ließ sich aber nicht auslöschen. Von den 29 Passagieren waren am Morgen nur 21 erschienen. Zwei weitere stiegen noch im Tal von Srinagar aus. Bereits kurz nach der Abfahrt war ein Bus beschossen worden.

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