Steuersparen nur als Ausnahme

Konzerne sollen Verluste ihrer Auslandstöchter nur selten mit ihren Gewinnen verrechnen dürfen. Salomonische Lösung beim Europäischen Gerichtshof. Katastrophale Steuerausfälle für Bundesfinanzminister Hans Eichel könnten ausbleiben

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Es könnte für die Finanzminister weniger schlimm kommen als befürchtet. Bei der grenzüberschreitenden Anrechnung von Konzernverlusten schlug gestern Luis Poiares Maduro, Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH), eine Lösung vor, die die nationalen Steuersysteme respektiert und damit auch die Staatshaushalte schont. In den letzten Wochen war von drohenden Steuerausfällen in Höhe von jährlich mehreren Milliarden Euro die Rede gewesen.

Konkret geht es um eine Klage der englischen Kaufhauskette Marks & Spencer (M&S). Deren Tochterunternehmen in Deutschland, Belgien und Frankreich machten ab Mitte der 90er-Jahre fast nur noch Verluste, die M&S in England steuerlich geltend machen wollte, um so die eigene Abgabenlast zu senken. Die englischen Steuergesetze erlauben die Verlustverrechnung jedoch nur bei inländischen Konzerntöchtern. M&S sah hierin einen Verstoß gegen die Regeln des europäischen Binnenmarkts und trug das Verfahren nach Luxemburg zum EuGH.

Die Rechtsfrage hat nicht nur für England Relevanz. Auch in Deutschland können derzeit nur die Verluste inländischer Konzerntöchter geltend gemacht werden. Ein entsprechendes Verfahren liegt beim EuGH bereits vor. In der deutschen Finanzministerkonferenz waren zuletzt – als Folge mehrerer Urteile – Steuerausfälle von bis zu 50 Milliarden pro Jahr für Bund und Länder befürchtet worden. Die EU-Mitgliedstaaten haben ihre in diesem Punkt weitgehend ähnliche Rechtslage damit gerechtfertigt, dass ein Steuersystem „kohärent“ sein müsse. Es sei widersinnig, die Verluste der Auslandstöchter am Sitz der Konzernmutter zu berücksichtigen, wenn eventuelle Gewinne dann aber nur im Ausland versteuert werden. Befürchtet wurde außerdem ein „Verlusteverkehr“, wonach die Verluste von Töchtern im Konzern immer dorthin verschoben werden, wo die Steuersätze nominal am höchsten sind, weil die Unternehmen so am meisten sparen können.

Der aus Portugal stammende unabhängige Generalanwalt Maduro hat gestern nun aber einen Weg aufgezeigt, wie die Bedürfnisse des Binnenmarktes mit denen der nationalen Finanzminister versöhnt werden können. Demnach wäre zwar die englische Rechtslage unzulässig, weil sie die Verlustanrechnung bei Auslandstöchtern generell verbietet. Das europaweite Verschieben von Verlusten müsse allerdings auch nicht generell erlaubt werden, weil es tatsächlich die nationalen Steuersysteme gefährden könnte. Maduros Vorschlag: Die Verlustanrechnung kann verboten bleiben, wenn die Verluste der Töchter bei Bedarf bereits im Ausland steuerlich geltend gemacht werden können. Der Generalanwalt denkt dabei zum einen an die Übertragung der Verluste auf Jahre, in denen die Tochter Gewinne gemacht hat, zum anderen an die Möglichkeit, die Verluste auf andere Unternehmen dieses Landes zu übertragen, zum Beispiel bei einem Verkauf der Tochter. Die Verlustanrechnung bei der Mutter dürfte nach diesem Modell also nur in Ausnahmefällen möglich sein. Das Urteil des EuGH soll in einigen Monaten kommen. Wie die finanziellen Auswirkungen von Maduros komplexem Vorschlag wären, lässt sich im Voraus kaum abschätzen. Im Vergleich zu den Befürchtungen dürften sie jedoch glimpflich sein.