Putin und der Good Guy

Als Martin Schwalb 2005 als Trainer beim HSV Handball anheuerte, bezeichnete ihn der damalige Präsident Andreas Rudolph als „letzte Patrone“. Rudolph hatte die Mannschaft mit frischen Weltklasse-Spielern ausgestattet und wollte den Angriff auf den deutschen Handball-Thron starten. Als das Team nur im Mittelfeld herumdümpelte, holte er seinen Wunschtrainer. Der war 2001 bereits Trainer des Jahres, stand auf dem Wunschzettel mehrerer großer Vereine und war zu Beginn der Saison für viele überraschend von Wallau-Massenheim nach Wetzlar in die Handball-Provinz gewechselt.

Viele fragten sich, ob das gut gehen konnte. Der machtbewusste, autoritäre Medizinunternehmer Rudolph und der offene, tolerante Schwalb, der zu seiner aktiven Zeit so etwas wie das menschliche Antlitz der Kampfsportart Handball war. Der Silbermedaillengewinner von 1984 in Los Angeles interpretierte seine Rolle im rechten Rückraum spielerisch statt brachial und sagte außerhalb des Platzes kluge, reflektierte Sätze.

Doch die Patrone zündete. Schwalb nahm das Good Guy/Bad Guy-Spiel an, führte den HSV zweimal zum Deutschen Pokalsieg, einmal zum Gewinn des Europapokals der Pokalsieger und dreimal ins Halbfinale der Champions League. Und er wurde zu einer Identifikationsfigur für die Fans, die dem ehemaligen Retortenklub Leben einhauchten. Klar war aber auch: Rudolph will den Meistertitel.

Und so musste man mehr als einmal um die Zukunft des Sympathieträgers bangen, wenn der HSV in einem entscheidenden Spiel gegen den THW wieder hinten lag, er wild gestikulierend vor der Spielerbank auf und ab tigerte und der Blick seines mit verschränkten Armen am Rand stehenden Bosses bedrohlicher wurde. Doch Rudolph wusste, dass er keinen besseren finden würde und hielt an Schwalb fest, bis der HSV 2011 Deutscher Meister wurde. Der Mäzen zog sich aus dem Präsidentenamt zurück und machte Schwalb zu seinem Nachfolger. Der ist nun der formal mächtigste Mann im Verein. „Es ist bei uns ein bisschen wie in Russland mit Putin und Medwedew“, zitierte das Abendblatt ein Aufsichtsratsmitglied, „der eine hat weiter das Sagen, der andere exekutiert dessen Anweisungen in den Gremien.“

Diese Aufgabenteilung muss sich nun bewähren, denn wieder wird ein neuer Trainer gesucht. Die Meisterschaft ist nach vier Niederlagen bereits futsch und Schwalb musste kurz vor Silvester erstmals den Bad Guy geben: Er feuerte seinen Trainernachfolger Per Carlén. Viele hoffen, dass Schwalb sich nun selbst als letzte Patrone aus dem Gurt zieht. Das wird er aber höchstens übergangsweise tun, bis eine langfristige Lösung gefunden ist. Die auch Putin passt. RLO