„Spielräume gehen verloren“

Mietervertreter Helmut Lierhaus über den gefährlichen Ausverkauf von kommunalen Wohnungen im Ruhrgebiet und warum der Staat dabei das Nachsehen haben wird

taz: Herr Lierhaus, ist Wohnungswirtschaft noch eine kommunale Aufgabe?

Das sollte sie sein. Allerdings sehen das immer weniger Revier-Kommunen so. Während sie sich aus der Verantwortung zurückziehen wollen, steigt die Zahl derer, die sich nur sehr schwer selbst mit Wohnraum versorgen können. Dortmund hat 40.000 Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Diese dürfen nur „angemessen“, in Wohnungen auf Sozialhilfeniveau wohnen. Wer fühlt sich für diese Menschen verantwortlich?

Ist ein klammer kommunaler Haushalt ein akzeptabler Grund für den Verkauf städtischer Wohnungen?

Es müsste allen klar sein, dass der Verkauf des „Tafelsilbers“ nur eine kurzfristige Entlastung bringt. Dafür gehen den Kommunen dauerhaft Versorgungs- und Gestaltungsspielräume verloren.

Welche sind schon jetzt die Folgen der Privatisierung?

Nehmen wir den ehemals städtischen Allbau in Essen. Nach dem Verkauf der städtischen Aktienanteile von 96,79 Prozent hat das Unternehmen neue Ziele. Ich zitiere die Unternehmenshomepage: „Der Allbau muss neue Geschäftsfelder erschließen, um die zukünftigen Renditeerwartungen zu erfüllen.“

Wohnungsgesellschaften versprechen beim Kauf städtischer Wohnungen Belegungsrechte. Was steckt dahinter?

Belegungsrechte wären nur ein Feigenblatt. Denn die Kommunen haben es nicht nötig, sich etwas schenken zu lassen. Sie haben schon heute die rechtliche Möglichkeit, Wohnungen mit Sozialbindung belegen zu dürfen.

Lobbyisten wollen eine Unternehmenssteuer-Befreiung für Wohnungsunternehmen durchsetzen.

Wie man an den schnellen Verkäufen der RWE- und ThyssenKrupp-Wohnungen zu unerwartet hohen Preisen sehen kann, ist der Immobilienmarkt durch den Auftritt anglo-amerikanischer Finanzgesellschaften aufgeheizt. Wenn Aktienkonzerne die Wohnungsgesellschaften erst ausschlachten und dann die Reste noch steuerfrei an die Börse bringen können, ist kein Halten mehr. Die Verkäufer profitieren auf Kosten des Staates. Dieser darf zwar später die Dividenden besteuern, hat aber nach aller Erfahrung wieder das Nachsehen.

INTERVIEW: ELMAR KOK

Hinweis: HELMUT LIERHAUS ist Sprecher des Mieterforums Ruhr