Eine Kulisse für James Bond

In Mechernich lagern in einer riesigen Untertageanlage Materialien der Bundeswehr. Waffen und Ersatzteile werden von der kleinen Stadt in der Nordeifel bis nach Afghanistan verschickt

VON CHRISTIANE MARTIN

„Das ist wie in einem ganz normalen Versandhaus“, sagt Ralf Ruyters. „Die Kunden bestellen, wir liefern aus.“ Er ist bemüht, den Anschein des Alltäglichen zu erwecken, wenn er über seinen Job spricht. Ruyters ist Oberstleutnant der Bundeswehr und leitet deren Materialdepot in der Eifelortschaft Mechernich.

Mit den Augen eines Zivilisten betrachtet, ist das allerdings kaum mit einem Quelle-Warenhaus vergleichbar. Schließlich sind die Kunden keine Otto-Normal-Verbraucher, sondern deutsche Truppen in Afghanistan, Usbekistan oder dem Kosovo. Und das Sortiment besteht auch nicht aus Elektrogeräten für den Hausgebrauch oder Kleidungsstücken in Konfektionsgrößen. Hier lagern Signalpistolen, Gewehre und Nachtsichtgeräte neben Ersatzteilen für Waffensysteme, Flugzeuge oder Militärfahrzeuge – gut getarnt im Innern eines Berges und 140 Meter unter der Erde. Da kann der Oberstleutnant noch so sehr versuchen, den Besuchergruppen, die er bereitwillig durch die Untertageanlage (UTA) führt, „Normalität“ vorzuspielen – das Gefühl, in die Kulisse eines James-Bond-Films geraten zu sein, bleibt.

Mit einer Notfalltasche ausgerüstet, die ein Sauerstoffgerät und einen Schutzhelm enthält, darf man nach einer Sicherheitsbelehrung und elektronischer Registrierung in den fünf Kilometer langen Eingangsstollen einfahren. Automatisch und lautlos öffnen sich die großen orangefarbenen Türen der Luftschleuse. Künstliches Licht erhellt nur spärlich eine endlos erscheinende Straße, die sich schließlich unvermittelt weitet und den Blick auf eine riesige Halle mit Laderampen, Bahngleisen, Gabelstaplern und Lkw freigibt. Mehrere Abzweigungen führen tiefer in den Berg hinein. Auf 38.000 Quadratmeter erstrecken sich hier Lagerflächen für 100.000 verschiedene Artikel mit einem Gesamtwert von 2,5 Milliarden Euro.

In den 700 Meter langen Lagerstollen reiht sich Regal an Regal. Dazwischen schieben vereinzelt Soldaten und zivile Angestellte Kisten hin- und her oder füllen Lieferscheine aus. Knapp über 50 Männer arbeiten hier und nur fünf Frauen.

Morgens um kurz vor sieben beginnt die Schicht. Gemeinsam fahren sie mit einem Bus in die UTA und bleiben bis nachmittags halb vier – ohne Sonnenlicht. „Man gewöhnt sich dran“, sagt Reiner Meier. Der 47-Jährige arbeitet seit 30 Jahren hier. Nur im Winter sei es schwierig, weil es dann nach Feierabend auch über Tage dunkel sei, ergänzt sein Kollege Johannes Weber und schwingt sich wieder auf eines der Fahrräder, mit denen die Arbeiter sich auf den insgesamt elf Kilometer langen Wegen unter der Erde fortbewegen. Das Material dagegen wird von computergesteuerten Spezialfahrzeugen transportiert, die sich durch die langen Gänge schlängeln.

„Die Untertageanlage ist ein idealer Lagerort“, sagt Ruyters. „Bei einer gleich bleibenden Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent und konstanten 19 bis 21 Grad können wir hier auch empfindliches Material aufbewahren“, erkärt er. Außerdem sei die Anlage absolut einbruchsicher. „Hier hat kein Unbefugter eine Chance, sein Unwesen zu treiben“, bemerkt der 43-Jährige. Das hatte sich auch die Landeszentralbank während der Währungsumstellung zu Nutze gemacht. Damals hatte sie einen Teil der UTA gemietet, um hier die frisch geprägten Euromünzen bis zu ihrer Auslieferung zu lagern.

Ruyters besucht seine Leute regelmäßig unter Tage. Und das wissen die ganz offensichtlich zu schätzen. „Tag Chef!“, begrüßen sie ihn strahlend und so unmilitärisch, dass man beinahe doch wieder denkt, im Lager eines ganz normalen Versandhauses gelandet zu sein. Doch ein verstohlener Blick in eine große Kiste belehrt eines Besseren: Gewehre verschiedenster Art stapeln sich darin. „Bitte keine Fotos machen“, sagt Ruyters.