Oberlehrer liebt man nicht

Klaus Böger steht heute ein schwerer Tag bevor: Der SPD-Parteitag berät über Bildungspolitik. Doch die Meinung des zuständigen Senators teilen nur wenige. Und in der Bevölkerung ist Böger unbeliebt

VON SABINE AM ORDE

Eigentlich hätte es Klaus Bögers Tag werden können. Die Sozialdemokraten legen auf ihrem heutigen Landesparteitag ihre Richtschnur für die künftige Bildungspolitik fest. Mit Blick auf die Wahlen im kommenden Jahr wollen sie zeigen, dass sie sich stark machen für gute Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten. Trotz Berliner Finanznotstand. Der Bildungssenator könnte der Star dieser Veranstaltung sein. Im Congress Center am Alexanderplatz könnte sich der 59-jährige Parteirechte von den 272 Delegierten für bereits Erreichtes beklatschen lassen. Und sie, lässig mit der Brille spielend, in einer flammenden Rede auf eine bildungspolitische Vision einschwören.

Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Denn nicht Böger ist der, der die sozialdemokratische Bildungspolitik nach vorne treibt. Große Teile der Partei wollen viel weiter gehen, als es dem Senator lieb ist. Sie wollen, dass der Parteitag das dreigliedrige Schulsystem für gescheitert erklärt und sich die Schaffung der Gemeinschaftsschule bis zur zehnten Klasse auf die Fahnen schreibt. Dass er sich für die flächendeckende, verpflichtende Ganztagsschule und die kostenfreie Kita für alle Kinder ausspricht. Und einen gemeinsamen, verpflichtenden Werteunterricht für alle Schüler beschließt.

Auch sie wissen, dass all das nicht von heute auf morgen zu schaffen ist. Vor allem nicht zum Nulltarif – ein massives Problem im bankrotten Berlin. Aber sie zeigen, dass die SPD Visionen hat. Dass sie umdenken und verkrustete Strukturen überwinden will. Genau das vermittelt Klaus Böger nicht.

Der Bildungssenator ist eingekeilt zwischen alarmierenden Ergebnissen von Bildungsstudien, massiven Problemen in Kitas und Schulen, der schwierigen Sozialstruktur und der dramatischen Haushaltslage der Stadt. Richtig machen kann man unter diesen Umständen kaum etwas. Längst hängt ihm das Image des schwachen Senators an, der sich gegen die Kürzungswut des Finanzsenators nicht wehren kann. Dessen pädagogische Neuerungen in Wahrheit versteckte Sparprogramme sind. Der zwar viele Ankündigungen macht, ihnen aber kaum Taten folgen lässt. Klaus Böger ist laut Umfragen der unbeliebteste Politiker der Stadt.

Das ist ungerecht. Zum Teil zumindest. Denn Böger hat – aufgeschreckt durch die Pisa-Studie und die Sprachstandserhebung „Bärenstark“ – durchaus sinnvolle Reformen in Gang gesetzt, besonders in Kitas und Grundschulen. Einiges davon steht im Bildungsprogramm für die Kindertagesstätten. Anderes ist im neuen Schulgesetz festgeschrieben, das das Parlament in vergangenen Jahr verabschiedet hat. „Er ist der erste Senator, der die Bildungsprobleme der Migrantenkinder anpackt“, sagt der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, Safter Cinar.

Doch in Kitas und Schulen merkt man von Verbesserungen bisher kaum etwas. „Reformen im Bildungswesen brauchen eben Zeit“, entgegnet Böger gemeinhin auf diese Kritik. Doch die Kinder, die jetzt in Kitas und Schulen gehen, haben keine Zeit. Und ihre Eltern haben keine Geduld. Sie wollen, dass ihr Nachwuchs hier und jetzt gut gefördert wird. Verständlich.

Und dennoch hat Böger Recht. Bis die Veränderungen, die auf Papier stehen, bei jedem Erzieher und jeder Lehrerin angekommen sind, bis sie sich in jeder Kitagruppe und jeder Schulklasse niederschlagen, werden viele Jahre vergehen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Reformen zukunftsweisend sind, gut vorbereitet und finanziell abgesichert. Aber daran hapert es.

„Er kündigt an, ist aber nicht konsequent“, sagt der grüne Schulfachmann Özcan Mutlu. Er habe „einen Steinbruch an Reformen“ geschaffen, kritisiert der CDU-Bildungsexperte Gerhard Schmid. „Er benennt Probleme, packt sie aber nicht richtig an“, meint Mieke Senftleben, die bildungspolitische Sprecherin der FDP. Die Konzepte sind unausgegoren, die Planungen wirr, das Tempo zu schnell – so kann man die Kritik am Bildungssenator zusammenfassen. Und außerdem, so hört man, habe Böger seine schwierige Verwaltung nicht richtig im Griff.

Derzeit reist der Senator durch die Bezirke, um Eltern, Lehrerinnen und Erziehern eine dieser Reformen schmackhaft zu machen: die Verlagerung der Horte an die Schulen. Ab dem kommenden Schuljahr sollen die Grundschulen für die Nachmittagsbetreuung ihrer Kinder zuständig sein, so will es das neue Schulgesetz. Vielerorts ist noch unklar, wie das im Detail organisiert werden soll, von pädagogischen Konzepten ganz zu schweigen. Verunsicherung hat sich breit gemacht: Eltern befürchten eine Verschlechterung der Betreuung ihrer Kids, Erzieherinnen bangen um ihre Jobs, Lehrerinnen sehen zusätzliche Anforderungen auf sich zukommen –ohne Aufstockung des Personals.

Sie alle kommen zu den Veranstaltungen mit dem Bildungssenator; sie fragen, kritisieren, schimpfen. Mit Power-Point-Präsentation und ausschweifenden Erklärungen arbeitet Böger dagegen an. Doch der Senator ist keiner, der solchen Situationen die Spannung nimmt. Er wirkt hölzern, distanziert, manchmal gar arrogant. Oberlehrerhaft, so wird Böger häufig beschrieben; manchmal kokettiert er selber damit. Doch je länger der Abend dauert, je mehr die Geduld des Senators schwindet, desto mehr trifft diese Beschreibung zu. Böger ist keiner, der Verständnis ausstrahlt, bei dem man sich gut aufgehoben fühlt. Genau das aber suchen Eltern. „Er will nicht mehr über verstopfte Schulklos diskutieren“, sagt eine enge Mitarbeiterin. Das kann man verstehen. Doch Lehrer, Eltern und Schüler regen sich darüber auf.

Gleichzeitig wollen sie eine Vision. Eine Vorstellung davon, wie sich die Stadt aus der Bildungsmisere befreien kann. Wie Kitas und Schulen der Zukunft aussehen. Aber auch dafür steht der Senator nicht. Böger ist kein Bildungsreformer, er ist Pragmatiker. Vor den großen Würfen scheut er sich. Eine Grundsatzdebatte über das dreigliedrige Schulsystem beispielsweise will er unbedingt verhindern. Eine solche Debatte führe nur zu gesellschaftlicher Polarisierung und zu sonst nichts, das ist Bögers Position. Dabei verweist er dann stets auf die Gesamtschuldebatte der Siebzigerjahre. Ganz so, als sei Pisa nur als Stadt in Italien bekannt.

Da hilft es in Sachen Wählergunst auch nichts, wenn Böger jetzt – zum Ärger seiner Senatskollegen – öffentlich mehr Geld für das Bildungsressort fordert. Im Zweifelsfall, so denkt man in der Öffentlichkeit, setzt sich doch SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin durch. Und der Bildungssenator kürzt, wie er es bereits getan hat: Böger hat die Hortgruppen vergrößert. Die Kitagebühren erhöht. Die Arbeitszeit der Lehrer verlängert. Die Zuschüsse für die Privatschulen gekürzt. Das ist es, was hängen bleibt. Und nicht die erfolgreichen Abwehrschlachten, die der Bildungssenator auch geschlagen hat. „Mehr Mäuse in die Schule“, wie es die SPD im letzten Wahlkampf versprochen hat, bringen sie aber noch nicht.

Gut in Erinnerung ist auch, dass es Böger war, der die Sozialdemokraten einst auf einen rigiden Sparkurs einschwor, der jetzt Reformen im Bildungswesen erschwert. Gerade zehn Jahre ist es her, da wurde der heutige Bildungssenator Fraktionschef der SPD im Abgeordnetenhaus. Er holte Annette Fugmann-Heesing als Finanzsenatorin nach Berlin und besorgte der „eisernen Sparkommissarin“ die notwendige Rückendeckung im Abgeordnetenhaus – auch für Kürzungen im Bildungsbereich. Damals war Böger einer der starken Männer der Berliner Sozialdemokratie. Wäre es nach dem Willen der Parteispitze gegangen, hätte er es bis zum Spitzenkandidaten gebracht. Doch die Basis, die in einer Urabstimmung zu entscheiden hatte, wollte Böger nicht. Sie wählte Walter Momper, den Wendehelden mit dem roten Schal, der längst in der Versenkung verschwunden war. Einen wie Momper, den mag man eben. Oberlehrer hingegen nicht. Also trat Momper gegen Diepgen an – und verlor. Die große Koalition ging weiter. Böger wurde Bildungssenator.

Längst ist Böger nicht mehr der starke Mann. Der Chef der SPD, das ist Klaus Wowereit, auch wenn er nicht Landesvorsitzender ist. Seinen Aufstieg zum Regierenden hat Böger erst möglich gemacht, weil er den rechten Flügel der Partei für die Koalition mit der PDS gewann. Dafür wird er heute nicht mehr gebraucht. Vielleicht zählt die Partei Böger nun auch als Bildungssenator an: Auf dem heutigen Landesparteitag könnten ihm derbe Niederlagen ins Haus stehen. Werteunterricht, Gemeinschaftsschule, kostenfreie Kitas für alle Kinder – bei diesen Fragen deuten sich Mehrheiten gegen die Positionen des Bildungssenators an.

Für diesen Fall hat CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer bereits der Rücktritt des Senators gefordert. „Böger muss sich in seiner Partei durchsetzen, wenn er weiterhin glaubwürdig als Senator agieren will“, sagt auch die FDP-Politikerin Mieke Senftleben. Fraglich, ob er das schafft.