Bernhard Kegel: „Ein tiefer Fall“
: Intrige unterm Mikroskop

Vielleicht muss der immer noch grassierende Wissenschaftsglaube endlich als Mythos entlarvt werden

Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.

Aus irgendeinem Grund ist man ungeduldig. Vielleicht liegt es daran, dass dieser Roman als Krimi gilt und man ein rasantes Tempo erwartet. Doch Bernhard Kegel, Autor von „Ein tiefer Fall“, lässt sich Zeit. Gemächlich führt er erstmal einen Protagonisten ein, der mit den Morden nur am Rande zu tun hat. Hermann Pauli heißt der Biologie-Professor an der Uni Kiel, und er ist Kollege des berühmten, smarten Meeresbiologen Frank Moebus.

Moebus ist ein Überflieger. Für Pauli ist der 20 Jahre Jüngere keine Konkurrenz, eher eine Art moralischer Gegenpol. Denn Moebus nimmt es mit der Ehrlichkeit nicht so genau. Und dann sterben ausgerechnet in seinem Labor eines Nachts zwei Assistenten. In einer Schattenbiosphäre, gewissermaßen, von der Moebus stets sprach und die ihn die „Moebus-Zellen“ finden ließ – Einzeller, die Jahrmillionen überlebten. Nur komisch, dass niemand außer ihm an den Zellen forscht und dass Moebus nur Anfänger in sein Labor holte. Ob das mit den Morden zu tun hat?

Wer weiß. Pauli und der Leser machen sich so ihre Gedanken, allerdings sehr verschieden schnell: Sehr bald schon ahnt der Leser, dass es die mysteriösen Zellen gar nicht gibt. Von da an wird man ungeduldig. Denn Pauli begreift das geradezu quälend langsam, während der Autor allerlei Anekdoten aus Paulis Privatleben erzählt. Und man beginnt zu leiden.

Aber man will ja die Lösung wissen, also liest man. Und entwickelt, zunächst notgedrungen, Geduld mit dem langsamen Auffälteln der Geschichte. Eher unlustig nimmt man wissenschaftliche Details in Kauf, bis man begreift: Der eigentliche Krimi – das sind die Intrigen der Wissenschaftswelt. Um sie zu verstehen, braucht man diese Details über DNA und Membranen. Und ganz langsam wird man hineingezogen in diese mikroskopische Welt, die ja eigentlich eine virtuelle und somit manipulierbar ist: Jedes Elektronenmikroskop-Foto lässt sich per Computer verändern, und selbst der solide Pauli gerät in Versuchung. Diese Momente sind es, die packen. Die milde stimmen gegenüber den Versuchungen dieser gestressten und eben nicht immer charakterstarken Wissenschaftler, die so gern mal Würdigung wollen.

Aber natürlich findet Pauli aus dieser Versuchung wieder heraus, er muss im Roman schließlich der Gute sein. Doch sein Urteil über Moebus wird nach dieser Erfahrung milder. 90 Prozent der Wissenschaftler, hat Autor Kegel recherchiert, haben schon von unlauteren Methoden von Kollegen „gehört“. „Dass gerade der Wissenschaftsbetrieb in extremem Maße vertrauensabhängig ist, mag zunächst überraschen, denn man müsste ja eigentlich nicht vertrauen, wo man weiß“, zitiert er den Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Vielleicht, so der Subtext, muss der immer noch grassierende Wissenschaftsglaube endlich als Mythos entlarvt werden. PS

Bernhard Kegel: „Ein tiefer Fall“. Hamburg 2012